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Der Opa aus Quakenbrück

■ Mit Geschichten aus der Heimat haben drei StudentInnen an der Bremer Hochschule für Künste Diplom gemacht / Hochschulgalerie zeigt sie jetzt

Sage keiner, daß ein Diplom an einer Kunsthochschule mal eben so aus dem Handgelenk zu schütteln ist. Sirma Kekeç zum Beispiel sah schon 43 Tage vor ihrer Diplomprüfung ziemlich mitgenommen aus. In einem Tagebuch-Countdown sieht sich die Ex-Studentin bei Wolfgang Schmitz an der Bremer Hochschule für Künste als geköpftes Wesen Mensch. Auch an den Folgetagen bis Anfang Januar notiert und collagiert sie verschiedene Formen ihrer Ramponiertheit. Allein sie hat es geschafft. Neben ihrer Vor-Prüfungs-Chronologie zeigt Sirma Kekeç jetzt in der Galerie der Hochschule für Künste an der Dechanatstraße die Arbeit, wegen der sie sich fortan Diplom-Künstlerin nennen darf.

Da sitzt ein Mann im Tropenlook auf einem Stuhl. Daneben wandert ein Paar, das aussieht wie ein Auswandererpaar, auf die BetrachterIn zu. Und noch ein Stückchen weiter erinnert ein anderer Mann an den Ex-Ex-Ex-Ex-Kanzler Kurt-Georg Kiesinger. Das Paar, die beiden Männer und weitere Figuren sind ganz oder teilweise in Siebdruckfarben, Strukturtapeten und andere Muster getaucht. „Verkehrt formatiert – Quakenbrück“ nennt Sirma Kekeç ihre Arbeit, mit der sie ihrer Heimatstadt Quakenbrück ein Denkmal, eine „wall of fame“, setzen will. Diese aus Holzschnitt und Siebdruck kombinierte Bilderserie logiert irgendwo im Feld zwischen Druckgraphik und Malerei. Und dieses nicht ganz Bestimmbare spricht noch viel mehr aus den Bildmotiven: Kiesinger ist ein Fahrradproduzent aus Quakenbrück, der Mann in Tropenkluft ein Heimatforscher, das Auswanderpaar sind zwei Quakenbrücker Originale, und der Mann mit Rudolf-Platte-Ähnlichkeit ist Sirma Kekeç' Großvater.

Diese narrativ-herumstöbernde Kunst muß eine Vorliebe von Wolfgang Schmitz' DiplomandInnen sein. Denn auch Kekeç' beide PrüfungsgenossInnen Thomas Falk und Andrea Lamest haben ein Thema, erzählen Geschichten. „Kurier, Übersetzung und Geschwindigkeit“ heißt Thomas Falks Arbeit aus Offset-Drucken. Die Lichter vorbeifahrender Autos, chinesische Schriftzeichen, das Laufwerk eines Fahrrads und eine Partitur sind auf Platten im Cinemascope-Format gedruckt. Diplom-Themen, so lehrt dieser Bilderreigen zur Geschwindigkeit, findet man am besten im eigenen Alltag: Thomas Falk ist im Nebenjob Fahrradkurier.

Andrea Samest dagegen will unbedingt nach Kaliningrad. Für ihr Diplom hat sie schon mal ein altes Tagebuch einer Kaliningrad-Reise abgeschrieben und alte, auf Flohmärkten gekaufte oder irgendwo gefundene Fotos bearbeitet. Die Bilder hat sie jeweils auf Transparentfolie kopiert, zum Teil übereinandergelegt, bearbeitet und Schwarz-Weiß-Umkehrung erneut belichtet. Ihre Collagen aus Schiffs- und Festszenen spielen mit der Ästhetik der 60er Jahre, sind ironische Studien einer zu Ende gegangenen Epoche.

Nur für vier Tage sind diese Diplomarbeiten – seit Eröffnung am Donnerstag abend – in der Galerie zu sehen. Schon am Montag hängen andere DiplomandInnen ihre Arbeiten auf, die ab nächsten Donnerstag wiederum nur vier Tage zu sehen sind. „Die Galerie ist ziemlich ausgebucht“, sagt Sirma Kekeç. Und was kommt danach – nach dem Diplom? Kekeç und Andrea Lamest haben sich als Meisterschülerinnen beworben, und Thomas Falk will Lehrer werden. Auch ein Plan, der nicht einfach aus dem Handgelenk zu schütteln ist. ck

Die Diplomarbeiten von Kekeç, Lamest und Falk sind noch bis Sonntag in der Galerie der Hochschule für Künste, Dechanatstraße 13-15, zu sehen. An den drei nächsten Wochenenden werden jeweils weitere Arbeiten gezeigt. Eröffnung jeweils am Donnerstag um 19 Uhr; Öffnungszeiten: Fr und Sa 14 bis 20 Uhr, So 12 bis 18 Uhr

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