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„Der Antreiber der Opposition“

■ Christian Specht feiert heute im Prater seinen 30. Geburtstag. Sein größter Wunsch wurde schon wahr: Das Polizeiorchester spielte für ihn – auf Initiative der Grünen, die dessen Abschaffung fordern. Gesundheitsministerin Fischer kommt aus Bonn

Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn. Sicher kann man geteilter Meinung sein, ob seine Auftritte bei Zeitungskonferenzen der taz, wo er einen Schreibtisch stehen hat, oder auf Versammlungen und Parteitagen immer den richtigen Ton haben. Fest steht jedenfalls, daß der Politaktivist, der nicht lesen und schreiben kann, im Vergleich zu manch professionellem Politiker oder Journalisten wirklich etwas zu sagen hat. Und das, obwohl er bei seiner Geburt zuwenig Sauerstoff bekam und von Amts wegen nicht mal alleine U-Bahn fahren dürfte.

Am Donnerstag wurde Christian Specht 30 Jahre alt, heute feiert er im Restaurant „Prater Garten“ im Prenzlauer Berg. Und es soll ein großes Fest werden. Denn Christian Specht hat es zu einiger Berühmtheit in Berlin und sogar auch bundesweit gebracht. Seitdem er zu Beginn der 80er Jahre mit Fernsehkameras, Tonbändern und Fotoapparaten aus Holz den Anschluß an die Berliner Polit- Szene fand, ist er auf jeder Demo zu finden, wo er treffsicher Polizisten in Zivil outet.

Daß er für Höheres berufen ist, als bei den Grünen den Postkurier und bei der taz die engagierte Nervensäge während der Konferenz zu spielen, glaubten 1995 außer ihm selbst auch die Grünen, die SPD und die PDS und unterstützten seine Bürgermeister-Kandidatur.

Nicht zuletzt gehört Christian Specht zu den wenigen Menschen, denen vor ihrem 30. Geburtstag ein Denkmal gesetzt wird: 1996 drehten die Filmemacher Imma Harms und Thomas Winkelkotte über ihn den wunderbaren Dokumentarfilm „Oh, Mitternacht, oh, Sonnenschein!“.

Christian Specht, der sich zum Antifaschismus und zur Volksmusik bekennt, kennt kein Pardon, wenn es um seine politischen Überzeugungen geht. So enterte er auf dem Grünen-Parteitag 1995 mit einem „Soldaten-sind-Mörder“-Transparent das Podium. Das Foto, das ihn neben einem genervten Joschka Fischer zeigt, landete im Spiegel und in einem Jahresrückblick der FAZ. Auf anderen Bildern zeigt er sich als Junger Genosse von der PDS oder als aufmüpfiger Juso. Beim Landesverband der Grünen in der Oranienstraße bekam er Ende vergangenen Jahres kurzzeitig Hausverbot, weil er partout bei einer internen Sitzung dabeisein wollte und ein bißchen randalierte. Doch das Verbot ist längst aufgehoben. Christian Specht kann man nur kurzzeitig böse sein.

Auch er ist nicht nachtragend. Vergessen der Tag, an dem ihn die Grünen nicht zu einer Demonstration im Bus mitfahren ließen. Vergessen auch die 500 Mark, die er für ein Taxi zahlte. Vergessen auch, daß sie ihn ebenfalls auf dem Rückweg nicht mitnahmen. Schwamm über die FDP, die ihm seine Mehrparteienmitgliedschaft nicht gönnte und 1996 aus ihren Reihen ausschloß. Selbst dran schuld, so wurden sie auch nicht zum Fest geladen.

Dafür werden umso mehr Grüne, PDSler und Jusos erwartet. In taz-Anzeigen haben die Grünen für Ideen, Kontakte und Geldspenden geworben, ihr rechtspolitischer Sprecher Norbert Schellberg hat das Einladungsposter gestaltet, andere kochen und backen für das Büffet. Christian selbst hat es in seiner gewohnten Mischung aus Penetranz und Charme geschafft, Politiker, Journalisten und Aktivisten der politischen Szene für sein Geburtstagsfest einzuspannen. „Schreib, daß jeder was zu essen mitbringen soll“, ergänzt er mit strenger Miene. Eingeladen hat er auch den früheren Innensenator Erich Pätzold (SPD) und den früheren Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD). Das Porto für die CDU hat sich Christian aber gespart: „Weil die gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sind“, so seine Begründung.

Reiner Feldberg, der die Aktivitäten der Grünen koordiniert, rechnet mit einem „richtig großen Bahnhof“. Angekündigt hat sich Gesundheitsministerin Andrea Fischer („Die kenne ich schon ewig“, so Specht), die eigens aus Bonn anreist. Fünf männliche Vertreter der Berliner Fraktion werden ihr grünes Gemächt für Christian Specht in enge Strumpfhosen zwängen und für ihn Schwanensee tanzen, der Fraktions-Chor wird eigene Texte zu bekannten Melodien trällern. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, dessen Stärke eher die Rhetorik ist, wird, statt die Füße zu spreizen, die Lippen spitzen und einige kurze Eröffnungsworte sprechen. Die kulturpolitische Sprecherin, Alice Ströver, wird das Ganze moderieren. Mit dabei auch Christians Oma Charlotte, bei der er in Neukölln wohnt.

Die PDS wird leider keine Tanzeinlage darbieten. Da Gregor Gysi im Urlaub weilt, würde ohnehin der Vortänzer fehlen. Dafür kommt die innenpolitische Sprecherin der Berliner PDS, Marion Seelig, die Christian schon seit fünfzehn Jahren kennt („Ich durfte damals ab und an nach West-Berlin“), der Fraktionsvorsitzende Harald Wolf und der PDS-Bildungsstadtrat von Prenzlauer Berg, Burkhard Kleinert. Weil auch die Berliner PDS Christian kaum einen Wunsch abschlägt, wird sie ihm die gewünschte große Torte mit Rosa und Karl und eine Webseite im Internet schenken. Überschrift: „Antreiber der Opposition“.

Doch Christians größter Wunsch ist schon am Donnerstag in Erfüllung gegangen: Da hat das Polizeiorchester für ihn gespielt! Nachdem es selbst die Grünen für keine gute Idee hielten, das Orchester, dessen Abschaffung sie seit Jahren fordern, zum Spielen im Prater zu überreden, wie es sich Christian aus ganzem Herzen gewünscht hatte, hat Alice Ströver Verbindung zu dem neuen Dirigenten aufgenommen. Dort stieß sie tatsächlich auf offene Ohren. Zusammen mit Ströver und Wieland durfte er im Polizeipräsidium in der Friesenstraße bei einer Probe dabeisein. „Das Polizeiorchester hat ,Happy Birthday‘ und ,New York, New York' für mich gespielt!“, erzählte Christian danach strahlend. Und Wieland merkte hochachtungsvoll an: „Die sind über die bürokratische Hürde gesprungen!“

Natürlich wird Christian auch seinen Gästen etwas schenken: ein mindestens einstündiges Programm mit Heimatliedern, Theater, Kabarett und politischen Streitgesprächen mit Leuten aus dem Publikum. Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Ab 20 Uhr im Restaurant „Prater Garten“, Kastanienallee 7–9

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