piwik no script img

Mentale Blockaden aus Angst

■ Provokationen wie die Ermordung eines serbischen Wachmanns und die Straßenblockaden vor Pristina durch bewaffnete Serben zeigen, daß sich beide Volksgruppen im Kosovo auf einen neuen Krieg einstellen Aus Pristi

Mentale Blockaden aus Angst

Fahren Sie nicht weiter“, warnte der serbische Polizist am Donnerstag auf der Ausfallstraße von Priština, der Hauptstadt des Kosovo, Richtung Makedonien. „Man wird auf Sie schießen.“ Nein, es seien keine albanischen Terroristen, sondern zivile Serben, die die Straße blockierten. Auf die Frage, weshalb die Polizei dann nicht einschreite, zuckte er nur die Schultern. Daß Serben auf Serben schießen, hätte gerade noch gefehlt. Wären es Albaner gewesen, wären zweifellos Panzer aufgefahren. Es wäre aller Waffenruhe zum Trotz zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen.

Vorne an der Sperre stehen – es ist morgens 11 Uhr – betrunkene Serben mit halbautomatischen Gewehren in unmißverständlicher Pose. Es ist ungemütlich und angeraten, den Rückwärtsgang einzulegen. Zumal die meisten Serben auf die Ausländer nicht gerade gut zu sprechen sind. Daß die Journalisten die Bevölkerung des Kosovo längst in gute Albaner und schlechte Serben aufgeteilt haben, gilt bei ihnen als ausgemacht. Und vergangene Woche bezichtigten die serbischen Behörden die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ nicht nur des Waffenschmuggels, sondern auch der einseitigen Hilfe für die albanischen Opfer. Daß über 700 unbewaffnete OSZE-Beobachter überall im Land in knallorangefarbenen Jeeps Präsenz markieren, beruhigt die Albaner. Viele Serben finden das eine ungebührliche Einmischung.

Die Serben erklären, ihre Straßensperre sei eine Protestaktion gegen den Mord an dem 34jährigen Nebojsa Denić, der zum Wachpersonal der staatlichen „Elektroprivreda“ gehörte. Am Nachmittag des orthodoxen Weihnachtsfestes am Mittwoch war er von einer bewaffneten Gruppe erschossen worden. Nun verlangen die Serben Schutz vor den albanischen „Terroristen“. Am Donnerstag abend schließlich waren die großen Ausfallstraßen aus Priština in sämtliche vier Himmelsrichtungen von Hunderten bewaffneter Serben blockiert. Der US- Unterhändler mußte auf Schleichwegen zu Verhandlungen mit Ibrahim Rugova, dem Präsidenten der Kosovo-Albaner, fahren. Und der deutsche Botschafter Wilfried Gruber wurde an einer Sperre zwei Stunden lang festgehalten. Am Freitag morgen wurden die Sperren nach und nach aufgehoben.

Die Blockade der Hauptstadt, der Tod dreier serbischer Polizisten gestern in Suva Reka, die Explosion einer Handgranate vor einem serbischen Kaffeehaus und die anschließende Verwüstung albanischer Cafés zwei Tage zuvor verweisen darauf, wie gespannt das Verhältnis zwischen den beiden Volksgruppen im Kosovo ist. Wie viele Serben in Priština bereits bewaffnet sind, konnte man dann in der Nacht zum Mittwoch erahnen. Nach Einbruch der Dunkelheit hämmerten in allen Stadtteilen immer wieder Gewehrsalven in den Himmel. Für viele Serben war das Weihnachtsfest ein Anlaß, bewaffnete Präsenz zu zeigen. Kaum ein Albaner traute sich noch auf die Straße. Es gibt vermutlich auf beiden Seiten Kräfte, die austesten, wie die andere Seite reagiert. Und jede Provokation droht Auseinandersetzungen zu provozieren, die schnell eskalieren können. Solange sich keine politische Lösung am Horizont abzeichnet, stellen sich beide Seiten auf einen neuen Krieg ein.

Was aber soll geschehen, wenn die OSZE zwischen alle Fronten gerät? Major Götz, Presseoffizier der 500 Soldaten starken deutschen Truppe, die im makedonischen Tetovo, gleich hinter der Grenze zum Kosovo, stationiert ist, sagt, es gebe drei Szenarien. Erstens: eine Evakuierung in relativ friedlichem Umfeld. Zweitens: Evakuierung mit Geiselbefreiung. Drittens: vollständiges Herauslösen im Kampfeinsatz. Nur für das erste Szenario gebe es einen Einsatzbefehl für die Nato-Truppen der „Extract Forces“. Will heißen: nur für das harmloseste der drei aufgezeigten Szenarien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen