: Postmoderne Weltmusikanten
■ Das „Moscow Art Trio“ verging sich an der russischen Seele
Ein Künstler kann sich immer dann richtig schön in einem Genre austoben, wenn es auf den Hund gekommen ist. Die russische Folklore ist zum Beispiel selbst den Freunden der Weltmusik äußerst suspekt (Don-Kosaken-Chor, Ivan Rebroff!). Und prompt kommt mit Mikhail Alperin ein vor Ideen und manischem Temperament nur so sprühender Musiker, mischt die Tonklischees seiner Heimat mit den verschiedensten Einflüssen (von Deep Purple bis Arvo Pärt) und bastelt daraus mit seinen beiden Mitspielern einen ganz eigenen Stil: The Moscow Art Trio indeed!
Die traditionellen Gesänge und Tänze Rußlands sind für die drei jeweils der Ausgangpunkt für einen wilden Ritt durch die Stile, bei dem sich kein Stück und kein Solo so entwickelt, wie man es erwarten würde. Da gackern plötzlich alle um die Wette wie auf einem Bauernhof, da mündet eine simple Melodie in eine wilde Improvisation auf dem Piano, da geht es bruchlos vom kurz angedeuteten Rock-Zitat zum Schellengeläut.
Die Musik steht auch deshalb immer unter einer ungewöhnlichen Spannung, weil die drei Musiker so extrem gegensätzlich wirken und spielen. Sergey Starostin hat Volksmusik studiert, und er singt auch ganz traditionell, mit Inbrunst, vielen Juchzern und Koloraturen. Dazu spielt er die Klarinette, Flöten und kratzt auf einer Zither herum. Arkadij Shilkloper kommt dagegen aus der streng klassischen Schule und war lange im Ensemble des Bolschoi-Theaters. Er spielt das Wald- und das Flügelhorn – zum Teil mehrstimmig mit der Überblastechnik, die Albert Mangelsdorf für die Posaune entwickelte. Einer der Höhepunkte des Konzerts war sein großer Auftritt mit dem Alphorn, das kaum auf die Bühne des KITO paßte, aber das er mit erstaunlicher Finesse sehr melodisch blasen konnte.
Aber Alperin blieb immer der Maestro, und er mimmte hemmungslos den großen Virtousen am Flügel. Er brummte, sang und gröhlte ständig mit, und durch seine hochkomischen Clownerien wurde das Konzert ganz nebenbei auch zu einem sehr vergnüglichen Kabarettabend. Wenn er etwa bei seinem Duo mit einem Metronom (!) diesem böse Blicke zuwarf, schlitterte er haarscharf an der Klamotte vorbei. Aber bei aller Albernheit saß jeder Takt genau, und die Kunst wurde durch den Witz nur noch raffinierter.
Alperins größter Ehrgeiz scheint es tatsächlich zu sein, aus allem Kunst zu machen. Selbst aus Kinderspielzeug: Die Plastikrohre, die beim Schwingen so schön außerirdisch heulen, wirbelte er so präzise und virtuos über seinem Kopf, daß dabei Tonfolgen und Harmonien entstanden, die musikalisch genau stimmig in die Komposition paßten. Auf dem Piano kann er genausogut neu-romantisch rhapsodieren wie mit mächtiger Pranke eine Soul-Groove anschlagen. Aber daß er unter all den musikalischen Masken im Grunde ein Jazzer ist, merkte man spätestens dann, wenn er aufstand, um auf der Melodica oder einer geblasenen High-Tech-Harmonica atemberaubend schwarz zu swingen.
Der Titel einer der Zugaben bringt den post-modernen, zugleich hochartifiziellen, sinnlichen und komischen Stil des Trios am besten auf den Punkt: Sie spielen wie „Mozart from Mongolia“.
Wilfried Hippen
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