: Gewerkschaftskrise bei STN-Atlas
■ Gewerkschaften DAG und IG Metall ringen um Vormacht-stellung / Spitzenfunktionäre planen derweil die Fusion im DGB
Seit der Übernahme durch Rheinmetall nehmen die hausinternen Krisen bei STN Atlas Elektronik kein Ende. Nach massivem Stellenabbau durch den neuen Vorstand beharken sich zur Zeit offensichtlich die im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften DAG und IG Metall. Anlaß dafür sind Streits um den Posten des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden, der von der Arbeitnehmerseite gestellt wird. Diese Domäne konnte die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft DAG den Metallern nach Jahren erstmals abjagen, mit angeblich unlauteren Mitteln.
So bestätigt IG Metall-Sprecherin Inge Lies-Bohlmann jetzt auf Anfrage der taz, daß die DAG entgegen aller Absprachen ihren eigenen Kandidaten Manfred Solmersitz ohne vorherige Absprache vorgeschlagen habe. „Das widerspricht den üblichen Gepflogenheiten, weil die IG Metall im Auf-sichtsrat die Mehrheit bei den Beschäftigten stellt.“ Tatsächlich konnten die Metaller drei der fünf Arbeitnehmersitze, die direkt gewählt werden, erringen. Die DAG stellt zwei Vertreter, zusätzlich aber auch noch den sechsten Vertreter, der lediglich von den leitenden Angestellten gewählt wird.
Werner Klimm, Bremens DAG-Bezirksleiter, widerspricht der Aussage von Lies-Bohlmann. „Sie selbst ist von zwei Mitgliedern der IG Metall vorab vorgeschlagen worden. Erst danach haben wir reagiert.“ Er könne daher keinen „unlauteren Wettbewerb“ erkennen.
Dennoch zeigt dieser Streit innerhalb der zuständigen Gewerkschaften, daß sich zum einen bei STN die Strukturen immer weiter verschieben. Zum anderen wird eine neue Abgrenzung unter den einzelnen Gewerkschaften dringend notwendig, um auch weiter gegen die erstarkenden Positionen immer größerer Konzerne vorgehen zu können.
Ausgangspunkt für die Reibereien ist die Ausgliederung der alten Waffenschmiede STN aus dem Vulkan-Verbund. Danach verlagerte sich das Gewicht der STN-Erzeugnisse immer weiter weg von herkömmlicher Produktion. Heute gilt der Betrieb, der inzwischen immer weiter zersplittert, als Entstehungsort innovativer Ingenieursarbeit. Damit einhergehend verschiebt sich der gewerkschaftliche Vertretungsanspruch immer weiter hin zur DAG, während das klassische Klientel der IG Metall abnimmt. Deutlich wurde dies bei Betriebsratswahlen im vergangenen Jahr, als die DAG erstmals stärkste Gewerkschaft im Unternehmen wurde und zusammen mit unabhängig gewählten Arbeitnehmervertretern die Mehrheit und damit den Gesamtbetriebsratsvorsitz gewinnen konnte (wir berichteten). Dazu Klimm: „Heute hat die IG Metall ein Problem damit, ihren alten Alleinvertretungsanspruch abzugeben.“ Seiner Meinung nach basiere dies aber nicht auf Reibereien zwischen den Gewerkschaften. „Das hat mehr mit einzelnen Personen zu tun“, so Klimm. Konkrete Namen will er nicht nennen.
Lies-Bohlmann von der IG Metall dagegen bemängelt die schlechte Kommunikation seitens der DAG. „Informationen werden nicht immer weitergegeben. Dadurch entstehen Probleme bei der Arbeitnehmervertretung im Aufsichts- und im Betriebsrat.“ Hinzu komme das Problem, daß auf Seiten der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat eine Pattsituation zwischen den Gewerkschaften entstanden ist, die von der Arbeitgeberseite weidlich ausgenutzt werden könne.
Um das Problem anzugehen, gilt es nach Auffassung der Beteiligten, jetzt eine klarere Abgrenzung zwischen den Aufgaben der einzelnen Gewerkschaften zu schaffen. Dies wird ohnehin nötig, wenn sich DAG, ÖTV, hbv, IG Medien und DPG zu einer einheitlichen Dienstleistungsgewerkschaft zusammenschließen. Denn dann verliert die DAG ihren unabhängigen Status und wird aufgenommen im Dachverband des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). „Zum anderen ist es albern, dann in den jeweiligen Betriebsräten verschiedene Gewerkschaften sitzen zu haben“, sagt Lies-Bohlmann von der IG Metall. Ähnlich äußert sich auch Klimm von der DAG: „Es ist zwar klar vereinbart, daß die einzelnen Gewerkschaften ihre Mitglieder auch bei einer Fusion behalten. Dennoch müssen die Zuständigkeiten durch den DGB eindeutig abgegrenzt werden.“ Dazu laufen derzeit bereits Spitzengespräche auf Bundesebene. Jens Tittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen