: Zehn Grad zu warm zum Rotweintrinken
■ Auf der Weinmesse Berlin guckt, schluckt und spuckt das weininteressierte Publikum. Österreich und Spanien siegen vor Deutschland. Bei den Rebsorten liegt der Riesling vorne
Samstag, 16 Uhr. Noch ist es ruhig im ehrwürdigen Logenhaus zu Berlin-Wilmersdorf. Bewaffnet mit zwei Probiergläsern (man muß zwei nehmen, auch wenn man nur eins will), Notizblock und Messekatalog, startet der Reporter seine Runde. Schummerig ist die Ecke hinterm Eingang, doch da leuchtet gleich ein Stern: Der Winzer Markus Molitor aus Bernkastel an der Mosel, „Aufsteiger des Jahres“ im Gault-Millau-Weinführer, mit seinen Rieslingen. Sehr ansprechend bereits die einfacheren trockenen Kreszenzen vom Jahrgang 1997. Das reizt zum Vergleich mit den Erzeugnissen der Konkurrenz.
Erfreulicherweise ist im ersten Stock gleich eine ganze Anzahl Moselweingüter versammelt. Zwei von ihnen hat die Messe-Expertenjury des Tagesspiegels just zu Siegern gekürt: Erster Platz in der Kategorie der Weißweine unter 20 Mark für die 1997er Riesling-Spätlese trocken vom Enkircher Batterieberg (Weingut Immich-Batterieberg); zweiter Platz für den äußerst gehaltvollen, traditionell gemachten 97er Riesling vom Winninger Uhlen, Weingut Heymann- Löwenstein. Trend Nummer eins ist damit unzweideutig: Die Mosel ist stärker denn je.
17 Uhr. Ab jetzt wird gespuckt. Scham oder mangelnde professionelle Coolness haben einen selbst bislang davon abgehalten, die leckeren Schlückchen wieder auszuspucken. Das zwischenzeitlich aufgekommene, eigentlich sehr erträgliche Gefühl der Leichtigkeit gemahnt jedoch zur Vorsicht, schließlich ist man dienstlich hier. Die Geselligkeit nimmt indes zu, die Berliner Weingemeinde strömt in die Hallen. Deren Mitglieder spucken kaum, aber sie sind ja auch zum Vergnügen hier.
Im größten und schönsten Saal des Logenhauses präsentiert sich die Weinwelt Österreichs. Alle Aussteller des Nachbarlandes zeigen sich in einheitlichem Design, grün-weiß-klar und unter dem Motto „Wein aus Österreich – kostbare Kultur“. Natürlich sind auch hier Siegerweine zu verkosten. Roy Metzdorf von der Weinhandlung Weinstein kann einen weiteren Jury-Siegerwein (zweiter Platz in der Kategorie über 20 Mark) vorzeigen, wieder einen Riesling, den 97er Weienkirchener Achleiten Smaragd von den Freien Weingärtnern Wachau. Mit 40,70 Mark nicht eben billig, doch mit seiner üppigen, an Rubens-Gemälde erinnernden Geschmacksfülle seinen Preis wert. Beachtlich auch die Grünen Veltliner.
18 Uhr. Eigentlich soll man aufhören, wenn es am schönsten ist. Dieser Zeitpunkt jedoch scheint bereits verstrichen. Die Berliner Weingemeinde muß sich mittlerweile vollständig eingefunden haben. Menschenströme zwängen sich durch die viel zu eng gewordenen Gänge. 7.000 Besucher wurden im vergangenen Jahr gezählt, an allen drei Tagen. Mindestens so viele müssen jetzt hier sein. Und das, bevor der Reporter auch nur einen Rotwein probiert hat. Er kämpft sich durch zum Stand der Weinhandlung Wein & Vinos, denn dort kann ein weiterer Siegerwein verkostet werden, die 1994er Crianza der Dominio Lassierpe aus Navarra (14,90 Mark). Genau dieser Wein wurde kürzlich in der taz-„Sättigungsbeilage“ wärmstens empfohlen. Ein Wein mit Saft und Kraft, der für diesen Preis seinesgleichen vergeblich suchen wird. Dann nochmal zurück nach Österreich, zum ganz anderen, viel zurückhaltenderen Zweigelt vom Weingut Neustifter im Weinviertel. Zweiter Platz, 14,50 Mark.
Damit sind die Trends Nummer zwei und drei klar benannt: Österreich – ob weiß, ob rot – zeigt seine Potenz. Und Spanien zieht gleich mit den klassischen Rotweinländern Frankreich und Italien (allerdings, das muß man sagen, werden viele südfranzösische Weine unterbewertet).
Ordnungsgemäßes Verkosten ist indes kaum noch möglich. Eine junge Dame ruft aus der zweiten Reihe: „Haben Sie einen Rotwein aus Andalusien?“ Der stolze, leicht gestreßte Gläserfüller muß verneinen, auch das treffliche Angebot von Rotweinen aus Restspanien vermag die Brünette nicht zu überzeugen. Rotwein aus Andalusien hätte es beim Stand von Roland Schiechel von der Weinhandlung Vinum gegeben, allerdings sucht der Reporter ihn nicht wegen dieses Weins auf, sondern weil man dort einen weiteren Jury-Siegerwein verkosten kann – eine elegante und nachhaltige, jedoch eher weltweinmäßige Südtiroler Kreation namens Iugum (1995er) aus Cabernet-Sauvignon und Merlot von Winzer Peter Dipoli.
19 Uhr. Es ist heiß, es ist laut, es ist rappelvoll. Heitere, gerötete Gesichter schieben sich plappernd durch die Gänge. Ein älterer Herr auf einem Stuhl ist kurz vor dem Wegdämmern, der Weg treppab nicht mehr für alle leicht zu bewältigen. Der Reporter sucht noch einen weiteren spanischen Siegerwein. Der „Rioja-Spezialist“ schimpft: „Es ist zehn Grad zu warm zum Rotweintrinken. Man hat mir verboten, ein Fenster zu öffnen.“ So bleibt die Neugierde auf einen Schluck des Sieger-Rotweins über 20 Mark unbefriedigt. „Tut mir leid, den kann ich nicht öffnen“, lautet die Antwort. Wie, ein Messe-Siegerwein, den es nicht bei der Messe gibt? Nun, man kann den Wein ja im Geschäft kaufen, für 49,80 Mark die Flasche.
19 Uhr 30. Zeit für ein Resümee. In der Länderwertung siegen Österreich und Spanien vor Deutschland, bei den Rebsorten liegt der Riesling klar vorn. Erfreulich: Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der internationalen Modesorten Chardonnay, Cabernet- Sauvignon & Co, mithin die weltweite Weinnivellierung wird in Berlin nicht mitgemacht. Unerfreulich die organisatorischen Schwächen. Das Logenhaus ist zu klein für die Weinmesse.
Der Reporter verläßt das Logenhaus. Selten soviel gespuckt. Unversehens kommt der Durst und die Erinnerung an eine Anzeige in einer Weinzeitschrift. Da hieß es: „Das Schönste an einer Weinprobe ist das Bier danach.“ Eberhard Schäfer
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