J'accuse – Ich klage an

Alle Lieblingsserien verschwinden plötzlich aus dem Fernsehen, und schuld sind verbrecherische Programmplaner. Eine längst fällige Beschwerde nebst einer dringenden Aufforderung zum Widerstand  ■ Von Emile Ringel

„Programmplaner, ihr seid Schweine

Programmplaner, ich verachte euch.“

Frei nach Tocotronic

Das Maß ist voll. Für jeden Zuschauer kommt der Tag, an dem er seine Geduld verliert: Der Fernseher wird eingeschaltet, und es kommt nichts beziehungsweise etwas anderes, Unerhebliches, nicht das, was man sehen will. Denn die Lieblingsserie ist verschwunden.

Was bisher geschah: Die derzeit beste amerikanische Krimiserie heißt „Homicide“. Der Kölner Sender Vox hatte die Serie für den deutschen Markt gekauft und die Folgen im vergangenen Jahr jeweils montags um Mitternacht ausgestrahlt. Um Mitternacht! Am Montag! Eine von Barry Levinson produzierte Serie, die den Alltag eines Polizeireviers nicht in New York oder Los Angeles, sondern in Baltimore zeigt. Wo keine Katalogfiguren sattsam bekannte Kulissen abwandern, sondern alltägliche Charaktere bizarre Verbrechen aufklären. „Homicide“ hat nicht umsonst eine immense Fangemeinde, die sich im Internet über die neuesten Entwicklungen austauscht und bei ihren Treffen herausragende Folgen auf der Kinoleinwand gemeinsam anschaut. Doch der kleine Kommerzsender Vox zeigt „Homicide“ seit Jahresbeginn donnerstags um 2.45 Uhr – nachts!

Eine Lieblingsserie ist wie ein Verwandter. Wie regelmäßiger, angenehmer Besuch. Eine Tante, die man nicht mehr missen möchte. Die kleine Überraschungen mitbringt. Und plötzlich ausbleibt. Denn verbrecherische Programmplaner nehmen uns alle Lieblingsserien.

Es begann mit „Hör mal, wer da hämmert“. Eine Comedy – besser als ihr deutscher Titel verspricht. Mit Tim Allen als Heimwerkerkönig und dem unerbittlichen Hang zur Alltagskatastrophe. Die nach Umfragen bei Kindern beliebteste Komiksendung. Kurzfristig bei der ARD zu Hause. Dann von RTL gekauft. Und dort stillschweigend beerdigt.

Es gab „Law and order“. Eine US-Krimiserie über die Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft, die im Widerspruch zu ihrem martialischen Titel Zweifel am „besten Rechtssystem der Welt“ befördert und mit exzellenten Schauspielern wie Jerry Orbach oder Paul Sorvino auftrumpft. Nach dem ungünstigen Termin am Freitag nach Mitternacht bei RTL waren die Wiederholungen bei RTL 2 jeden Tag um 18 Uhr traumhaft plaziert. Eine vernünftige Serie im Vorabendprogramm, die prompt abgesetzt wurde.

Da war „Oiski Poiski“ im Kinderkanal. Eine europäische Animationsserie um eine schwimmende Insel, auf die sich seltsame Tiere geflüchtet haben wie der Eisbär Noah und vor allem der polnische Spitzwaulmurf, dessen stets leicht verzweifelter Ruf „Pardonski, Capitanski“ inzwischen zum Grundvokabular europäischer Kinder gehört – verschwunden, abgesetzt, weg.

Was geht eigentlich im Kopf von Programmplanern vor? Eine Nachfrage bei den Sendern ergibt: nichts. Sie wissen nicht, was sie tun. Die Pressekraft bei Vox weiß zum Fall „Homicide“: „Ich weiß auch nicht, warum die Programmplaner das tun.“ Der Kinderkanal verweist auf den WDR, der „Oiski Poiski“ verantwortet und zumindest Ende 1999 oder Anfang 2000 die Ausstrahlung einer dritten Staffel mit wieder 13 Folgen plant. RTL beziehungsweise RTL 2 wissen und tun rein gar nichts: „Hör mal, wer da hämmert“ und „Law and order“ seien im nächsten halben Jahr nicht geplant.

Leser, Zuschauer, Bürger: Laßt uns die Verbrechen der Programmplaner nicht mehr hinnehmen. Schreibt – oder besser ruft an beim Präsidenten der Republik... – äh, bei den Pressesprechern der Sender. Fordert das Recht auf die Lieblingsserie ein. Beschwert Euch! Telefoniert! Gebt kein Pardonski!

Pressestellen-Telefonnummern:

Kinderkanal: 0361/218-1825

RTL: 0221/456-4300

RTL 2: 089/64185-400

Vox: 0221/9534-370