piwik no script img

Tendenz zur Lästigkeit

Die institutionelle Kompetenzschwäche Michael Naumanns und wie er sie nutzen kann. Was der Kulturbeauftragte darf und was nicht. Staatstragende Überlegungen  ■ Von Elke Gurlit

Niemand wird bestreiten, daß Gerhard Schröder mit der Etablierung des Bundeskulturbeauftragten ein Coup gelungen ist. Nicht nur die staatliche Kulturpolitik, sondern auch das Räsonieren über Kultur hat in den letzten Monaten einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Die tägliche Naumann-Meldung gehört zum unverzichtbaren Repertoire des Feuilletons. Man gewinnt fast den Eindruck, Michael Naumann handele als Beauftragter unterbeschäftigter Kulturredaktionen.

Zum besseren Verständnis der Stellung des Kulturbeauftragten lohnt ein Blick auf das Beauftragtenwesen, das sich in der Bundesrepublik flächendeckend ausgebreitet hat. Wir kennen beispielsweise die Datenschutzbeauftragten, die betrieblichen Immissionsschutzbeauftragten und die Gleichstellungsbeauftragten in der Verwaltung. Ungeachtet aller Unterschiede im Detail lassen sich gemeinsame Grundstrukturen ausmachen: Die Beauftragten vertreten Interessen, die im normalen Gang der Verwaltungs- oder Unternehmensgeschäfte zuwenig Beachtung finden. Sollen sie eine vernehmbare Stimme haben, müssen sie frei von Weisungen handeln können.

Als weitere reale Konstante gilt: Machen die Beauftragten ihren Job gut, stören sie den gewohnten Geschäftsablauf. Beauftragte haben eine institutionell angelegte Tendenz zur Lästigkeit. Die Spannung zwischen der loyalen Mitgliedschaft in einer Organisation und der Erfüllung ihres Vertretungsauftrags müssen sie aushalten. Der Spagat kann indes den Beauftragten erleichtert werden, wenn ihre Legitimationsbasis verbreitert wird. Das Amt des Bundesbeauftragten für den Datenschutz etwa wird beim Innenministerium eingerichtet und unterliegt dessen Dienstaufsicht. Er wird aber auf Vorschlag der Bundesregierung vom Parlament gewählt. Die parlamentarische Bestellung gibt ihm Rückendeckung für eine unabhängige Tätigkeit.

Der Unterschied zur Stellung des Kulturbeauftragten springt ins Auge. Michael Naumanns Legitimation basiert nicht auf einer parlamentarischen Bestellung. Als parlamentarischer Staatssekretär wird er auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt werden, ohne vom Parlament mandatiert zu sein. Der Bundeskulturbeauftragte ist nicht Bundesbeauftragter der Kultur, sondern Kulturbeauftragter der Bundesregierung. Das Schicksal einer bloßen Ernennung teilt der Kulturbeauftragte zwar mit den Bundesministern; gleichwohl ist er in seinem Rang auch deutlich von ihnen abgesetzt. Die angelsächsischen Gepflogenheiten entlehnte Bezeichnung eines „Staatsministers“ mag ihn sprachlich aufwerten, beläßt ihn aber im Rang eines parlamentarischen Staatssekretärs. Als solcher ist der Kulturbeauftragte nicht selbst Mitglied der Regierung, sondern allein Bestandteil der Regierungsbürokratie.

Heikel sind überdies die Umstände, die seine Ernennung zum parlamentarischen Staatssekretär begleiten: Der Kulturbeauftragte Naumann wird ein parlamentarischer Staatssekretär ohne Parlamentssitz sein. Mit der sogenannten Lex Naumann, die die Regierungsfraktionen als Gesetzentwurf eingebracht haben, wurde das Erfordernis eines Bundestagsmandats für parlamentarische Staatssekretäre modifiziert. Das Vorhaben ist nicht nur der Opposition übel aufgestoßen, weil es die Institution des parlamentarischen Staatssekretärs, der gerade aufgrund seiner Mitgliedschaft im Bundestag koordinierend wirken soll, vom Parlament abkoppelt. Bis zur Verkündung des Gesetzes und der folgenden Ernennung durch den Bundespräsidenten bleibt im übrigen Michael Naumann in der Wartestellung des „designierten“ Staatsministers.

Die Stellung als parlamentarischer Staatssekretär ergänzt schließlich die Legitimationsschwäche des Kulturbeauftragten um eine Kompetenzschwäche. Jeder Minister kann von Verfassungs wegen beanspruchen, innerhalb der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers „seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung“ zu leiten. Mag der Kanzler auch den Umweltminister der Wichtigtuerei zeihen, Trittins Kompetenz zur Auflösung der Reaktorsicherheitskommission muß er trotzdem anerkennen. Dem Kulturbeauftragten im Range eines parlamentarischen Staatssekretärs obliegt es hingegen allein, den Kanzler bei der Erfüllung seiner Regierungsaufgaben zu „unterstützen“. Staatsrechtler bezeichnen den parlamentarischen Staatssekretär auch gerne als „Ministergehilfen“. Naumann, die umsichtig helfende Hand des Bundeskanzlers?

Die schwache Rechtsstellung des Kulturbeauftragten in der Bundesregierung stimmt skeptisch. Die Zweifel verstärken sich, wenn als weitere institutionelle Rahmenbedingung seiner Tätigkeit die föderale Struktur der Bundesrepublik in den Blick genommen wird: Der Kulturbeauftragte muß sich nicht nur der Bundesregierung unterordnen, sondern sieht sich auch noch von sechzehn Provinzfürsten umstellt. Die gelegentlich ritualisiert anmutenden Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern um die Wahrung der Kulturhoheit sind keine Lappalien. Die Kulturhoheit ist eines der letzten Reservate von Ländermacht. Die Bastion gilt es zu verteidigen: Sie sichert zum einen die kulturelle Vielfalt; diese wiederum erzeugt für die kulturellen Akteure den freien Markt, der auch unkonventionellen Ideen reale Verwirklichungschancen gibt.

Es wäre freilich verfehlt, sich das deutsche Modell des Föderalismus als System scharfer Kompetenztrennung vorzustellen. Die Tätigkeiten von Bund und Ländern sind miteinander verwoben. Auch im Kulturbereich regiert die Kooperation. Insbesondere die Förderung der „Hauptstadtkultur“ läßt sich nur im Zusammenwirken von Bund und dem Land Berlin bewerkstelligen. Kenner der Materie bemühen deshalb für den deutschen Föderalismus das Bild der „Politikverflechtung“. Sie führt im günstigsten Fall zu einer Bündelung staatlicher Energien; im schlechtesten Fall droht eine wechselseitige Blockade. Die Bundesgesetzgebung landet dann im berüchtigten Vermittlungsausschuß. Staatliche Verwaltungsaufgaben bleiben erst einmal unerledigt.

Ist das Verhältnis des Bundeskulturbeauftragten zu den Ländern zumindest ambivalent, bezeichnet seine Beziehung zu den kulturellen Akteuren ein echtes Dilemma staatlicher Kulturpolitik: Staatliche Politik drängt auf politische Gestaltung der ihr anvertrauten gesellschaftlichen Bereiche. Die Kultur hingegen zeichnet sich aus durch ihre Autonomie. Aus gutem Grund gewährt die Verfassung umfassend kulturelle Freiheiten. Sie gewährleistet für Rundfunk- und Fernsehanbieter die Rundfunkfreiheit; die Freiheit der Kunst hat sie gar unter vorbehaltlosen grundrechtlichen Schutz gestellt. Die staatlichen Instanzen sind nicht die Letztentscheider in Fragen des guten Geschmacks.

In Anbetracht der hochgestimmten kulturpolitischen Debatten, die Michael Naumann angestoßen hat, erscheint der Hinweis auf die Autonomie der Kultur zunächst etwas sauertöpfisch. Tatsächlich ist das Pochen auf staatliche Gestaltungsgrenzen gerade wegen des spürbaren Überschwangs der kulturellen Eliten wichtig. Michael Naumann mag dem Westdeutschen Rundfunk unter dem Beifall des bildungsbürgerlichen Publikums nahelegen, den anspruchsvollen Kulturmagazinen einen angemessenen Sendeplatz zu verschaffen; verfassungsrechtlich muß Naumanns Wunsch aber folgenlos bleiben. Über Programminhalte und Sendezeiten entscheiden immer noch die Rundfunkanstalten. Die Autonomie der Kultur setzt aber auch einer Politik der fördernden Mittelverteilung Grenzen. Die Kulturförderung dient der Absicherung künstlerischer und kultureller Freiheit, ist aber kein Instrument zur Durchsetzung staatlicher Kulturpräferenzen.

Wir sehen jetzt den Kulturbeauftragten im Dreiecksnetz von Bundesregierung, föderalen Kompetenzschranken und kultureller Autonomie zappeln. Das Szenario ließe sich zu einem magischen Viereck ausbauen, wenn nach den Grenzen einer nationalen Kulturpolitik im Zeitalter der Internationalisierung gefragt wird. Zumal der aktuelle Streit um die Buchpreisbindung die Europäische Union als eine weitere ernstzunehmende Akteurin zeigt. Gleichwohl will sich das Bild eines in engen institutionellen Schranken verfangenen Bundeskulturbeauftragten nicht recht einstellen. Zu offensichtlich ist die Wirkung seines bisherigen öffentlichen Auftretens. Die Vermutung liegt nahe: Rechtliche Kompetenz und reale Einflußnahme haben nur bedingt miteinander zu tun.

Diese Beobachtung ist nicht ganz neu. Auch andere kompetenzschwache Institutionen haben politische Gestaltungsmacht bewiesen. Das Europäische Parlament, dessen defizitäre Gesetzgebungskompetenzen allenthalben beklagt werden, hat immer wieder weitreichende Gesetzgebungsvorschläge gemacht, die Eingang in die Politik von Kommission und Rat gefunden haben. Oft gehen die parlamentarischen Initiativen über das hinaus, was die Fraktionen in ihren mitgliedstaatlichen Parlamenten zu fordern bereit sind. Eine weiterer Verdacht drängt sich auf: Der Wille zur Vertretung neuartiger und kontroverser Politiken ist um so größer, je weniger die Institution in der Pflicht zu ihrer Einlösung steht. Kompetenz trägt als Kehrseite die Pflicht zur Kompetenzwahrnehmung. Sie bedeutet Verantwortung. Bei Kompetenzlosigkeit regiert hingegen das Prinzip Verantwortungslosigkeit. Kompetenzschwäche macht frei.

Eine derartige Sicht auf die Tätigkeit des Bundeskulturbeauftragten sollte nicht als zynische Verabreichung eines tröstlichen Placebos verstanden werden, sondern als Umschreibung der politischen Chancen einer Institution, die einerseits mit dem Anspruch staatlicher Autorität auftritt, andererseits aber nur ein geringes Maß an Letztentscheidungsverantwortung trägt. Der Kulturbeauftragte hat es als staatliche Institution in der Hand, mit weitreichender Öffentlichkeitswirkung seine Vorstellungen einer staatlichen Kulturpolitik zu präsentieren.

Seine persönlichen Fähigkeiten zur Entwicklung und Moderation von Ideen können ihn zu einem „Kulturpolitikanstifter“ machen. Gegenüber dem Bundeskanzler kann er sich durch überlegten Einsatz seiner Fachkompetenz Freiräume verschaffen. Seine prekäre Stellung gegenüber dem Parlament wird er nicht durch Konfrontation, sondern allein durch argumentatives Werben stärken. Für die Bundesländer kann er eine Stimme sein, die das Gewicht der Kulturpolitik als staatliche Aufgabe stärkt. Gleiches gilt für die Kulturschaffenden, wenn sich der Kulturbeauftragte als Institution begreift, die die Eigengesetzlichkeit der Kunst respektiert und fördert. Herr Naumann, stiften Sie an!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen