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Das Trauma von der Therapie

Migration und Krankheit: Heute beginnen zwei Veranstaltungsreihen  ■ Von Elke Spanner

Herkömmliche Erklärungsmuster versagen nur zu oft. Es sind die Lebensbedingungen, die Menschen krank machen. Viele Flüchtlinge leiden unter den Folgen von Kriegserlebnissen und anderen Traumatisierungen. ArbeitsmigrantInnen verschleißen ihren Körper bei harter Arbeit vorzeitig, viele AusländerInnen leiden unter dem Leben fernab ihrer Familien. Zwei Veranstaltungsreihen, die ab heute in Hamburg laufen, sollen auf die Notwendigkeit spezieller Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge und MigrantInnen sowie auf die Planungen des Vereins „Freihaven“ hinweisen, der auf dem Gelände des ehemaligen Gesundheitszentrums ein „Behandlungszentrum für traumatisierte Flucht- und Folteropfer“ einrichten will. Dort sollen auch Flüchtlinge behandelt werden, die wegen ihres unsicheren Aufenthaltsstatus nirgendwo zur Therapie angenommen werden. Einer von ihnen ist der 16jährige Steven aus Liberia.

Manchmal denkt Steven, er wird verrückt. Kaum ausgesprochen, scheint er sein Bekenntnis schon wieder zu bereuen. Verlegen lächelnd schüttelt der 16jährige den Kopf, als wolle er seine Worte im Nachhinein als eine flapsige Bemerkung abtun. Dem direkten Blickkontakt weicht er zumeist aus.

Steven erzählt bereitwillig, wie es ihm geht. Er kann nachts kaum durchschlafen, weil ihn Alpträume plagen. Er berichtet von den Kopfschmerzen, die er so kontinuierlich hat, daß sie fast schon Normalzustand für ihn sind. Auf den Augen liegt ein Druck, daß er denkt, ihm platzt der Schädel. Und daß er bei mindestens drei Internisten war, weil er vor Magenschmerzen oft nichts essen kann. Seine Augen wandern mal zur Decke, oft auf den Tisch vor ihm, und verleihen dem Gespräch dadurch etwas Beiläufiges. Als würde Steven eine beliebige Geschichte erzählen und nicht von seinen Erlebnissen im Bürgerkrieg in Liberia.

Mit 14 Jahren kam Steven nach Deutschland – allein, seine Eltern hat er im Krieg in seinem Heimatdorf Taipa verloren. Zwei Jahre ist es her, daß ihm mit dem Schiff die Flucht von Westafrika nach Hamburg gelang. Zwei Jahre schon plagen ihn die Schmerzen und die Träume. Doch erst jetzt begibt er sich in therapeutische Behandlung. „Ich konnte mir bisher nicht vorstellen, daß ich so große Probleme haben soll“, sagt er. „Ich dachte nicht, daß meine Krankheit etwas mit meiner Geschichte zu tun hat.“

Selten erzählte er FreundInnen von seinen Träumen, und wenn er es tat, lachten sie, er sei doch verrückt. Sie rieten dem damals noch 14jährigen, sich mit Alkohol zu betäuben. Deshalb behielt er seine Erlebnisse lieber für sich. In der Folge war er bei InternistInnen, AugenärztInnen und NeurologInnen. Doch erst als er nach zwei Jahren im Dezember mit seinem Vormund in der kirchlichen Beratungsstelle „Fluchtpunkt“ war, um seinen Aufenthaltsstatus zu besprechen, fielen Beraterin Anne Harms Stevens Symptome auf, die sie gleich als „posttraumatisches Syndrom“ bezeichnen konnte. Sie organisierte für den jungen Liberianer einen Termin bei einer Psychologin.

Auch die stufte Steven als schwer traumatisiert und behandlungsbedürftig ein. Ihre Untersuchungen ergaben, daß er „unter massiven depressiven Stimmungszuständen mit suizidalen Tendenzen leidet“. In ihrem Gutachten steht aber auch, daß therapeutische Hilfe nur möglich sei, wenn die Lebenssituation von Steven „nicht bedroht ist, das heißt, wenn ihm mindestens ein Jahr eine stabile Lebens- und Wohnsituation zugesichert werden kann“. Und hier liegt ein kardinales Problem. Denn Steven hat ausländerrechtlich nur eine Duldung, die um jeweils drei Monate verlängert wird.

Niedergelassene PsychologInnen, so die Erfahrung von Harms, winken gleich ab, wenn man sie nach der Therapie von Flüchtlingen mit ungesichertem Aufenthalt fragt. Auch die Beratungsstelle für Flüchtlingskinder im Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE), so habe sie erfahren, habe die Therapie von Steven aus diesem Grunde abgelehnt. Daß er nun dennoch damit beginnen kann, hat er dem Engagement seiner Beraterin zu verdanken und der Bereitschaft eines Psychiaters, ihn kostenlos zu behandeln. Harms: „Normalerweise heißt es, eine langfristige Therapie geht nicht. Also wird den Leuten gar nicht geholfen.“

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