: Demokratie in homöopathischer Dosierung
■ In Hongkong wird eineinhalb Jahre nach der Rückgabe an China über das richtige Maß der Demokratie gestritten. Tycoonen geht die Politik zu weit, die Demokraten fühlen sich machtlos
Hongkong (taz) – Das Kompliment ist zweischneidig: Hongkongs Regierungschef Tung Chee- hwa sei ein „gutartiger Diktator“, sagte Oppositionsführer Martin Lee von der Demokratischen Partei am Wochenende. Zwar halte Tung nichts davon, Hongkongs BürgerInnen an politischen Entscheidungen zu beteiligen, und versuche sogar, die ohnehin geringen Beteiligungsrechte weiter zu beschränken. Aber „zumindest werden Regierungskritiker hier nicht ins Gefängnis geworfen“.
18 Monate nachdem die britische Kronkolonie in der Regennacht zum 1. Juli 1997 wieder an China zurückfiel, haben sich die vielen düsteren Voraussagen nicht erfüllt: Die Soldaten der Volksbefreiungsarmee bleiben unauffällig in ihren Kasernen. „Fundamentale Rechte, Freiheiten und die Autonomie“ Hongkongs seien „weitgehend“ respektiert worden, heißt es im gestern veröffentlichen Bericht der Europäischen Kommission.
Eine positive Bilanz zieht auch Kenneth Leung von der Chinesischen Universität Hongkongs: Sowohl die Regierung in Peking als auch die Führung Hongkongs zeigten „Flexibilität und Toleranz, was die Freiheit der Meinung und der Presse betrifft“, schreibt er in seiner gerade publizierten Untersuchung über die Hongkonger Medienlandschaft seit 1997. Oppositionelle, BürgerrechtlerInnen, JournalistInnen können sich weiter kritisch äußern und tun es auch. Was viele Hongkonger aufatmen läßt, gefällt dem Immobilien-Tycoon Li Ka-shing allerdings überhaupt nicht: Das „Sonderverwaltungsgebiet“ sei nach der Übergabe viel zu politisiert, klagte der 70jährige Milliardär kürzlich. Die oppositionellen Parteien stellten „unvernünftige“ Forderungen, nur um ihren Wählern zu gefallen.
Folge: Das Investitionsklima sei beeinträchtigt, befand der einflußreichste Geschäftsmann. Er selbst habe deshalb ein geplantes Milliardenprojekt auf Eis gelegt, so Li. Auslöser seines Zorns war die heftige Kritik der Demokratischen Partei, weil er durch die Krise in Zahlungsverzug geratene Käufer seiner Wohnungen mit Prozessen bedroht. Ins gleiche Horn wie Li stoßen auch andere Unternehmer: „Bevor Hongkong zurückgegeben wurde, haben die Leute gesagt: Die Kommunisten kommen.“ In Wirklichkeit jedoch sei „die lokale Bevölkerung die Kommunisten“, erklärte zum Beispiel Firmenchef Ronnie Chan der erstaunten Öffentlichkeit.
Hintergrund dieser skurril anmutenden Äußerung: In der Asienkrise, die längst auch Hongkong erfaßt hat, fordern Oppositionelle immer lauter von der Regierung, ein soziales Netz zu knüpfen und die Unternehmen wenigstens zur Zahlung von Mindestlöhnen zu verpflichten. Denn Tausende Hongkonger verloren in den letzten Monaten ihre Arbeit, immer mehr können die horrenden Mieten und Hypotheken nicht mehr zahlen.
Doch während sich Hongkongs Tycoone noch heftig über die störende Einmischung der BürgerInnen in die Politik beschweren, ist auch innerhalb der Demokratischen Partei Streit ausgebrochen. In der Partei, die bei den Wahlen zum sogenannten Legislativrat im Mai mit 42 Prozent die mit Abstand meisten Stimmen gewann, herrscht derzeit großer Frust. Denn wegen des undemokratischen Wahlsystems erhielt die Partei nur ein Viertel aller Sitze – zuwenig, um mehr als ein demokratisches Feigenblatt zu sein.
So hat sie keine Möglichkeit, den Plan von Regierungschef Tung zu verhindern, ein in den letzten Jahren gewonnenes Stück Demokratie abzuschaffen. Tung will die Bezirksräte wieder selbst ernennen und nicht mehr wählen lassen. Lee: „Wir halten das für völlig falsch, es ist gegen den weltweiten Trend zur Demokratie. Es zeigt, wie wenig Vertrauen Tung in sich selbst, in die Hongkonger Bevölkerung und in die chinesische Nation hat. Denn wir möchten, daß Hongkong vorangeht, um der chinesischen Regierung zu zeigen, daß Demokratie gut für Hongkong und auch gut für China ist.“
Vorstöße wie dieser verdeutlichen die Ohnmacht der Opposition. Deshalb fordern vor allem jüngere Mitglieder, die Proteste stärker auf die Straße zu tragen. Zudem finden die Rebellen, die Partei sänge zu sehr das Lied der Mittelschicht und vergesse die Arbeiter. Bei einer Krisensitzung am Wochenende kam es allerdings nicht zur befürchteten Spaltung. Lee konnte die „Jungtürken“ in seiner Partei besänftigen: „Unsere Stärke ist, die Stimme für alle Schichten der Bevölkerung zu erheben, wann immer jemand von der Regierung unfair behandelt wird.“ Jutta Lietsch
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