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Seid umschlungen, Millionen

■ Nach jahrelangem Widerstand der Konservativen, nach einer Million Unterschriften für die Reform, nach mehreren gescheiterten Anläufen im Bundestag wird heute der Entwurf eines neuen Staatsbürgerrechts vorgelegt, das über vier Millionen Ausländern ermöglicht, Deutsche zu werden

Heute wird Bundesinnenminister Otto Schily in Bonn seinen Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vorstellen. Dieser erleichtert, wie im rot-grünen Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Einbürgerung hier dauerhaft lebender Ausländerinnen und Ausländer und sieht die regelmäßige Akzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft vor. In diesem Zusammenhang haben auch Deutsche, die im Ausland leben, Grund zur Freude: Sie müssen künftig ihre bisherige Staatsangehörigkeit nicht mehr aufgeben, wenn sie freiwillig eine neue annehmen.

Gestern abend fand ein erstes rot-grünes Arbeitsgespräch über das Papier statt. „Insgesamt bewerte ich diesen Gesetzesentwurf sehr positiv“, erklärte der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, Rezzo Schlauch, einige Stunden vor der Begegnung. Die geplante Reform sei „ein qualitativer und quantitativer Quantensprung“. Es zeige sich, daß die SPD und ihr Innenminister in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft „stehen“. Auch Schlauchs Amtskollegin Kerstin Müller zeigte sich zufrieden, daß die Koalitionsvereinbarung „in den Kernbestandteilen“ umgesetzt worden sei. In einigen Punkten bestehe allerdings noch „Klärungsbedarf“. Darüber werde „sehr ruhig“ geredet werden. Immerhin handele es sich bei dem jetzt vorlegten Papier um einen Arbeitsentwurf.

Nicht alle Details der geplanten gesetzlichen Regelungen dürften bei allen Beteiligten auf ungeteilte Zustimung stoßen. Umstritten wird wohl vor allem der Passus sein, demzufolge derjenige keinen Anspruch auf Einbürgerung hat, „der Bestrebungen verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet waren“. Dieser Satz ruft Erinnerungen an den „Radikalenerlaß“ der SPD-geführten Bundesregierung unter Willy Brandt wach, mittels dessen Beamtenanwärter auf ihre Verfassungstreue überprüft wurden.

Die SPD will jedoch nach den Worten des innenpolitischen Sprechers ihrer Fraktion, Dieter Wiefelspütz, keinesfalls eine Neuauflage des Radikalenerlasses. Wiefelspütz betonte, es solle auch künftig vor der Einbürgerung eines Ausländers keinesfalls eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz erfolgen. Auch sei kein Gelöbnis auf die Verfassung geplant.

Der Gesetzesentwurf stellt lediglich den ersten Schritt einer mittelfristig geplanten umfassenden Reform des Staatsangehörigkeitsrechts dar. Diese dauert vor allem deshalb etwas länger, weil es laut Innenministerium zu diesem Thema noch einen „erheblichen Abstimmungsbedarf“ gibt, und zwar insbesondere mit den Bundesländern. Mit der vorgezogenen Teilreform solle Einbürgerungswilligen „ein positives Signal“ gegeben werden. Andernfalls „könnten Hoffnungen enttäuscht werden, die gerade bei diesen Menschen durch den Regierungswechsel geweckt worden sind“.

Auf die zuständigen Stellen der Länder kommt voraussichtlich bald viel Arbeit zu. Das Bundesinnenministerium rechnet mit einem Anstieg von Einbürgerungsanträgen von derzeit jährlich etwa 300.000 auf bis zu 4 Millionen. Der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft unterliegt allerdings auch weiterhin bestimmten Voraussetzungen. So hängen Ansprüche von der Unterhaltsfähigkeit und der Straflosigkeit der Bewerber ab. Das sieht auch der Koalitionsvertrag so vor – ob die Grünen allerdings mit der von Schily beabsichtigten Summierung von Vorstrafen einverstanden sein werden, muß abgewartet werden. Im Blick auf Sozialhilfeempfänger dürfte auch die Ausgestaltung von Härtefallklauseln noch Gegenstand von Gesprächen werden.

Aber der geplante Gesetzentwurf muß ohnehin nicht das letzte Wort zum Thema sein. Das Bundesinnenministerium hat bei der Reform des Staatsbürgerrecht ein zweistufiges Vorgehen angekündigt. In der zweiten Phase wolle man die in der ersten Stufe getroffenen Neuregelungen „einer kritischen Prüfung“ unterziehen. Erfahrungen, die bis dahin gemacht wurden, sollen dann „berücksichtigt“ werden. Eventuell, so das Ministerium, sollen in der zweiten Phase auch neue Verlusttatbestände für die deutsche Staatsangehörigkeit eingeführt werden, „um die Fälle der Mehrstaatigkeit – insbesondere bei gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets – nicht unbegrenzt anwachsen zu lassen“.

In dieser zweiten Phase soll auch die Wehrpflicht von Doppelstaatlern geregelt werden.

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