Ein Freundschaftsdienst

■ (Nicht nur) zur Erinnerung an den verstorbenen Maler Gerhard Schlüter haben Freunde in der Humboldtstraße den Kunstverein „Humboldt & Schlüter“ gegründet – ein Wohnzimmer-Verein der etwas anderen Art

Beginnen wir mit einem Witz. „Geht ein Künstler an einer Kneipe – vorbei.“

Zugegeben, die Pointe wird hier nicht gerade aufdringlich auf dem Silbertablett serviert. Erwin Noack hingegen wirft, kaum daß er das letzte Wort des Witzes über die Lippen gebracht hat, seine gesammelten Lachfalten in Pose, bis ihm die Tränen durch den grauen Backenbart kullern. „Der Gerhard“, quetscht er zwischen zwei Glucksern hervor, „der Gerhard konnte 1.000 Witze. Und erzählt hat er sie wie kein anderer.“ Man glaubt es ihm sofort. Und gerne würde man den Gerhard bitten, doch Erwin Noacks Lieblingswitz mit dem Bäcker und den drei Brötchen zum Besten zu geben. Doch diesem Wunsch kann er nicht mehr nachkommen. Denn Gerhard Schlüter ist tot. „Gestorben, einfach so“, sagt Erwin Noack. Na, vielleicht nicht ganz einfach so. Denn Gerhard Schlüter hat seiner Gesundheit über Jahrzehnte mit großen Mengen Alkohol kräftig zugesetzt. So sehr, daß auch Noack zugibt, daß sein bester Freund „eigentlich ein medizinisches Wunder war“. Ein Wunder, das immerhin 61 Jahre währte. Bis zum 17. Februar 1998, als das Herz nicht mehr schlagen wollte.

Seitdem ist vieles anders geworden in Erwin Noacks Leben. Die halb geöffneten Augen, mit denen ihn der tote Freund angestarrt hat, gehen ihm nicht aus dem Sinn. Die Tage sind für den 58jährigen auch nicht kürzer geworden, seit er nicht mehr regelmäßig von Schlüter in seiner Wohnung am Fedelhören besuchen werden kann. „Der Gerhard, der fehlt mir einfach.“ Und schließlich hat Erwin Noack gemeinsam mit anderen einen ziemlich ungewöhnlichen Verein gegründet: den Verein Humboldt & Schlüter e.V.. „Da bin ich jetzt der 1. Vorsitzende. Der Präsident.“

Warum aber gründet man einen Verein für einen toten Freund und wählt dessen alte Wohnung in der Humboldtstraße zum Vereinsheim? Und wie konnte dieser Verein innerhalb weniger Monate auf 35 Mitglieder anwachsen – trotz des sehr selektiven Auswahlkriteriums, daß nur die „ohne doofe Fresse“ Mitglied werden konnten?

Noack stockt. Und beginnt langsam zu erzählen. Gerhard war ein wundervoller Mensch, großzügig, bei allen beliebt, witzig und warmherzig. Er haßte Bürokraten, Bonzen und Lügner, war unangepaßt und mochte seine Freiheit über alles. Auch die, sich zu Tode trinken zu können. Und, was noch? – „Gerhard war der einzige, mit dem ich ohne Probleme nachts in meinem Bett schlafen konnte, ohne daß wir uns berührt haben“. Ein schöner Grund, Präsident zu werden.

Aber Humboldt & Schlüter e.V. ist mehr als ein Verein zum Gedenken an einen bemerkenswerten Menschen. Vor allem ist Humboldt & Schlüter e.V. ein Kunstverein, der in der Humboldtstraße Ausstellungen organisiert und, wie Gründungsmitglied Günter Parzentny erzählt, ein Anlaufpunkt ist für gestrandete KünstlerInnen. „Hier kommen Ausgeflippte, lustige Leute und Poeten her, Typen, die mit den Jahren selbstzerstörerisch und einsam geworden sind, denen der Elan und die Kontakte zu anderen Künstlern fehlen und die einen Tritt in den Arsch brauchen, um wieder kreativ zu werden“. Ein „Kunstverein der etwas anderen Art“, sagt Parzentny, ein Verein für Menschen wie die Maler Erwin Noack und Gerhard Schlüter.

Oft haben die beiden, die seit 30 Jahren befreundet waren, auch zusammen gemalt. Anfang der 80er entstand in einer Kneipe ein 1000 Quadratmeter großes Wandbild voller Boote, Landschaften und Säulen. „20 Eimer und eine Badewanne voll Farbe haben wir in drei Monaten verbraucht“, erinnert sich Noack. Auch im „Nix“, der Viertel-Kneipe, deren Wirt Parzentny bis zur Schließung war, haben Noack und Schlüter ein riesiges Deckenbild gemalt. Schlüters letztes Werk, das aber nicht mehr existiert, „weil die neuen Besitzer Kunstbanausen sind und es abgekratzt haben“, erregt sich Parzentny. Dennoch sind viele Bilder von Schlüter, der im Viertel bekannt war wie ein bunter Hund, im Umlauf. „Gerhard hat seine Bilder verschenkt wie van Gogh“, erzählt Noack. Wer eines wollte und sympathisch war, hatte gute Chancen, bald ein technisch penibel gestaltetes, surreales Ölgemälde voller Papageien, Flugzeugen, Unterwasserlandschaften oder, wie es sich für einen gebürtigen Rostocker gehört, bunter Meeresmotive sein eigen nennen zu können. Nach Schlüters Tod fanden sich gerade mal 50 Werke im Nachlaß. Und selbst die waren in Windeseile verschwunden. In mühsamer Arbeit hat der Verein nun einige Bilder zusammengetragen und stellt sie ab Samstag aus. Nach dem „Polnischen Tryptichon“ und der Präsentation „Kritzeleien unplugged“ mit Erwin Noacks wunderschönen Schmiergelpapierarbeiten ist das die dritte Ausstellung des Vereins.

Günter Parzentny hofft, daß Humboldt & Schlüter seine Aktivitäten in Zukunft noch ausweiten können wird. Eine ABM-Kraft hat der Verein bereits beantragt. Auf der kleinen Bühne in Schlüters frührerem Wohnzimmer können Konzerte und Lesungen stattfinden. Im ehemaligen Schlafzimmer befindet sich eine Sitzecke mit Originalstühlen aus der alten „Glocke“, wo Erwin Noack demnächst für Interessierte Zeichenkurse anbieten wird. Und in der Mitte des Vereinshauses lädt ein Tresen dazu ein, mit Ausgeflippten, Poeten und gestrandeten KünstlerInnen ein Bier zu trinken und mit Günter Parzentny über Gott und die Welt zu quatschen.

„Ach, und noch was will ich gerne loswerden“, sagt Günter Parzentny zum Abschied: „Den Gerhard, den vermiß ich schon sehr“.

Franco Zotta

Die Ausstellung mit Gerhard Schlüters Arbeiten wird im Kunstverein Humboldt & Schlüter e.V., Humboldtstraße 67, am Samstag um 20 Uhr eröffnet und ist bis zum 20. Februar zu sehen. Öffnungszeiten: Mo-Sa ab 18 Uhr, So ab 20 Uhr. Infos unter Tel.: 75 03 3