: Pilz mit Anbindungslücken
Die Bahn steckt Milliarden in ein neues Streckennetz, doch Verkehrsexperten kritisieren mangelhafte Verbindungen in Berlin und nach Schönefeld ■ Von Volker Wartmann
„Rund 18 Milliarden werden in den Ausbau des Fern- und Stadtbahnnetzes in Berlin bis 2004 investiert“, sagt Gerty Lücke, Mitarbeiterin der Pressestelle der DB Projekt GmbH Knoten Berlin. Berlin soll zu einer richtigen „Bahnstadt“ werden. „Bis in fünf Jahren sollen die Bauarbeiten für den Ausbau des Berliner Fernbahnnetzes weitgehend abgeschlossen sein und soll der neue Zentralbahnhof Lehrter Bahnhof in Betrieb genommen werden.“
Die Basis für den Wiederaufbau und die Erweiterung des innerstädtischen Fernbahnnetzes bildet das sogenannte Pilzkonzept. Dieses Konzept ist als Kompromiß aus den vorher diskutierten Ring- und Achsenkreuzmodellen herausgekommen. Die Durchquerung der Stadt in Nord-Süd-Richtung deutet dabei den Pilzstiel an, während die Stadtbahn und der nördliche Berliner Innenring den Hut und die Krempe bilden. Die Nord-Süd- Verbindung führt von Moabit bis Schöneberg. Die Realisierung dieser Verbindung ist ein Projekt der DB Knoten Berlin und zugleich das größte Einzelvorhaben mit einem Investitionsvolumen von etwa 4,5 Milliarden Mark. Die neue Fern- und Regionalbahntrasse reicht von den beiden Anbindungskurven des nördlichen Berliner Innenrings über Lehrter Bahnhof, Potsdamer Platz, Gleisdreieck, Yorckstraße bis südlich des Bahnhofs Papestraße. Entlang der neun Kilometer langen Trasse werden drei Bahnhöfe gebaut: der Lehrter Bahnhof, der Regionalbahnhof Potsdamer Platz und der Bahnhof Berlin Papestraße. „Der 3,5 Kilometer lange Tunnel ist das entscheidende Teilstück der neuen Nord-Süd-Trasse“, so Lücke. „Er beginnt nördlich des Lehrter Bahnhofs, führt unter der Spree hindurch und unterquert den Tiergarten bis zum Gleisdreieck südlich des Landwehrkanals.“ Von hier Richtung Süden verläuft die Nord-Süd-Strecke wieder oberirdisch bis zum Bahnhof Berlin Papestraße und dann ab Prellerweg auf den Trassen der Dresdener und der Anhalter Bahn in Richtung Süden.
In bezug auf die Entwicklung der Fahrgastzahlen gibt sich die Bahn äußerst optimistisch. Im Jahr 2010 rechnet sie in Berlin jährlich mit über 50 Millionen Fernreisenden und im Regionalverkehr mit 85 Millionen Fahrgästen. Im Nahverkehr wird von 1,16 Milliarden Fahrten pro Jahr ausgegangen. Allein am Zentralbahnhof Lehrter Bahnhof wird täglich mit einer knappen Viertelmillion Fahrgästen gerechnet, die hier ein-, um- oder aussteigen. Zum Vergleich: Nach Angaben der Pressestelle der DB zählte die Bahn 1997 in Berlin 35 Millionen Fahrgäste im Regional- und 13 Millionen Fahrgäste im Fernverkehr.
„Durch die Konzentration auf die Maßnahmen im Zentrum wird die Verknüpfung der Verbindungen ins Umland hinausgezögert“, sagt Stefan Kothe, Pressesprecher des Verkehrsclubs Deutschland Landesverband Berlin (VCD). „Die Bahn verfährt offensichtlich nach dem Motto: Die Fahrgäste holen wir uns dann, wenn alles fertig ist.“
Der Berliner Fahrgastverband IGEB e.V. beklagt, daß beim innerstädtischen Ausbau der Schienenwege falsche Prioritäten gesetzt werden. „Der Bau der neuen U-Bahn-Linie U5 ist angesichts der knappen Haushaltsmittel überflüssig. Sie hat nahezu einen identischen Streckenverlauf wie die Stadtbahn“, sagt IGEB-Vorstandsmitglied Jens Wieseke. Der notwendige stadtweite Ausbau der Straßenbahn werde ständig weiter hinausgezögert, so Wieseke.
„Die Bahn wird in Zukunft zwar schneller durch die Stadt fahren, aber für die meisten Berliner werden die Wege zum Bahnhof länger“, sagt Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbaren Bahnhöfe Ostbahnhof und Zoo werden vom schnellen Fernbahnverkehr abgekoppelt, wenn der Tunnel fertig ist, so der grüne Verkehrsexperte. „Weder der Senat noch der Bund sind in der Lage, vernünftige Anbindungen zum Lehrter Bahnhof zu finanzieren“, sagt Cramer. „Der Süden Berlins beispielsweise ist nicht an den Lehrter Bahnhof angebunden.“
Das Pilzkonzept ist zu einer Zeit beschlossen worden, als man den Flughafenstandort noch nicht kannte. „Während in Köln und Düsseldorf Milliarden dafür ausgegeben werden, einen ICE-Bahnhof an die Flughäfen anzubinden, werden in Berlin Milliarden dafür ausgegeben, um den bestehenden ICE-Bahnhof vom Flughafen abzukoppeln“, sagt Cramer. „Denn obwohl er dafür tauglich ist, wird über den Bahnhof Schönefeld voraussichtlich kein ICE-Verkehr führen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen