: FrustLustSchrei stets mollig
■ Gewandelt zu Industrial-Folkisten spielen „The Inchtabokatables“ am Mittwoch garantiert viel „Too loud“ im Schlachthof. Ein Gespräch über die Albernheit der großen Terz und die höhere Vernunft einer fatalistischen Einstellung
Viele Bremer verwechseln „The Inchtabokatables“ allmählich mit dem Christkind. Oder mit Knecht Ruprecht. Seit 1993 suchen die fünf „Hochstapler“ (eine von 49700 möglichen Übersetzungen des Bandnamens), die noch mehr als Fiddlers Green oder Coalminers Beat die Folkmusik gestählt, gehärtet und verdunkelt haben, mit schöner Regelmäßigkeit den Schlachthof kurz (diesmal leider etwas länger) nach Heiligabend heim. Was Sänger Robert Beckmann in Interviews partout nicht ausstehen kann, sind die unvermeidlichen Fragen: Na, wie findet man sich als Ossi, haha, im kapitalistischen Musikbetrieb zurecht, wie unterscheiden sich West- und Ostfans? Und: Das erste Lied eurer neuen Platte „Too loud“ erinnert irgendwie an Rammstein; wollt ihr in Zukunft noch härter werden? Trotz dieser Qualen der ewigen Wiederholung des Gleichen müht sich Beckmann weiterhin redlich, geduldig und mit mustergültiger Höflichkeit ab, die Musik der Inches, so ihr Kosename, zu erklären. Die klassisch-locker-grotes-ken Fun-Sprüche, mit denen so viele Musiker ihr dämliches Gutdrauf-sein beweisen zu müssen meinen, sind von ihm nicht zu haben.
taz: Ihr habt auf früheren CDs auch Melodien aus Mittelalter und Renaissance zitiert.
Beckmann: Der Trommler und ich, wir haben vor den Inches mittelalterliche Musik gemacht, zum Teil auf historischen Instrumenten: Fiedeln, Rauschpfeifen, Dudelsäcken und all so'n Kram. Manches war sogar echter Eigenbau. In Bibliotheken wälzten wir dicke Schwarten auf der Suche nach spannendem musikalischen Material. Wir konnten sogar davon leben. Hat Spaß gemacht – ein paar Jahre lang – und irgendwann nicht mehr. Kennengelernt habe ich alte Musik bei Straßenmusikern.
Learning by doing.
Nicht ganz. Ich habe eine klassische Ausbildung auf der Geige genossen. 12 Jahre. Dasselbe gilt für den zweiten Geiger und den Cellisten. Musik zu studieren hatten wir aber alle keine rechte Lust.
Du könntest also nicht Vivaldis Jahreszeiten spielen?
Aber ja doch, den „Sommer“ habe ich zum Oberstufenabschluß gespielt.
So hübsch wie Vanessa Mae?
Von der kenne ich Bilder, aber zum Glück keinen einzigen Ton.
Ist Folkpunk Eure Erfindung?
Wir haben zu seiner Etablierung beigetragen und zählen mit zu den ersten Bands. Dafür gab's Ungewöhnlichkeitsbonus. Heute bauen immer mehr Bands hier und da ein Dudelsäckchen ein. Für uns ein Grund, uns mit der vorletzten Produktion endgültig von Mittelalter und Folk zu verabschieden. Jetzt dominieren Industrial-Einflüsse.
Ist nicht Eure melancholische Grundhaltung noch immer folkig?
Wir sind zwar alle lustige Burschen, aber in unserer Musik will sich das rätselhafterweise nicht niederschlagen. Wir staunen selbst immer wieder, daß wir es Zeit unseres Erdendaseins nicht zustande gebracht haben, auch nur ein einziges Liedchen in Dur zu schreiben.
So schwer kann das doch nicht sein, eine kleine Terz in eine große umzuwandeln.
Das Problem ist, man kommt sich bei der großen Terz so furchtbar albern vor.
Woran liegt es, daß frustige Texte und Musik oft so wohltuend wirken?
Wir machen doch keine Frusttexte.
Die Texte sind niederschmetternd. „Ich seh' aus meinem Fenster und seh' nicht mehr als Schmerz.“ Oder englisch: „We played too loud and wie lived too loud and we screamed too loud for sure.“
Was soll daran niederschmetternd sein, wenn Menschen beim Orgasmus schreien?
Oh, ach so.
Aber egal. Vielleicht ist Musik, die sich irgendwo zwischen Zerstörung und Melancholie bewegt, der Ausdruck eines gesunden Fatalismus. Gute Laune ist oft so sterbenslangweilig.
Anders als diverse deutsche Hip-Hop-Texte gehen die Euren selten von konkreten, alltäglichen Situationen aus.
Alltag interessiert mich nicht. Man hat ihn. Das ist unvermeidbar. Muß man auch noch pausenlos darüber reden? Trotzdem sind unsere Texte im weitesten Sinn autobiografisch. „Red Skies“ etwa wurde angeregt durch einen riesigen, leergefegten, vor sich hinrottenden Güterbahnhof, in der Nähe unseres Probenraums. Ein wunderbar merkwürdiges Bild.
Eure englischen Texte leben ja von den großen, schlichten, schnörkellosen Worten eines Basic-English-Grundkurses.
O-o, mir werden durchaus exzellente Englischkenntnisse nachgesagt. Trotzdem setze ich mich hin, klaube mir aus dem Thesaurus, das ist ein Synonymewörterbuch, Begriffe zusammen und bastle sie so aneinander, wie kein Engländer sie jemals verwenden würde. Manchmal grammatikalisch regelrecht falsch. Ergebnis ist eine Art Kunstsprache.
Wird in Interviews oft Euer Ossitum thematisiert?
Ja, aber darauf antworten wir schon lange nicht mehr. Wir haben in einem Gesellschaftssystem gelebt, das uns nicht gepaßt hat. Dafür fanden wir es lustig. Jetzt leben wir in einem System, das uns genauso wenig paßt und das wir genauso lustig finden. Für unsere Musik hat das aber nicht die winzigste Spur einer Bedeutung. Politik und Musik sind für uns zwei grundverschiedene Dinge. Schon vor der Wiedervereinigung haben wir immer davon gelebt herumzureisen, nach Norden, Süden, Osten. Tja und der Westen: Eine Himmelsrichtung mehr oder weniger, das war uns ziemlich egal. Übrigens spielt längst der eine oder andere Wessi in unserer Kapelle.
Welche Leute besuchen Eure Konzerte?
Mittdreißiger Pärchen, die auf Konzerten prinzipiell ganz hinten stehen, 14jährige Punks, Grufties und zunehmend mehr Industrialfans treffen sich da zu einem Reigen kleiner Melodien. Metaller wurden auch schon gesichtet.
Es heißt, ihr probt täglich? Warum.
Wir sind miteinander befreundet. Echtes family life.
Welche Musik hörst Du?
Nine Inch Nail, Godmachine, die Melvins, Violent Femmes, jedenfalls seit acht Jahren keine aktuelle Musik mehr. Ich kann nicht behaupten, auf dem Laufenden zu sein. Nur an Massive Attack kommt kein normal denkendes Lebewesen vorbei. Der eklige Puff Daddy hat allerdings mit Jimmy Page doch noch was Feines hingekriegt. Mit TripHop aber kannst du mich jagen.
Noch irgendwelche Botschaften für unsere Leser?
Wir kämpfen weiter für den Weltfrieden.
So wie Bänkelsänger Stefan Krawczyk?
Ja genau. Den finde ich übrigens ganz furchtbar grauenerweckend mit seinem Betroffenheitssabbern. Die ganze Gilde kann ich nicht riechen. Fragen: bk
Schlachthof, 20.1., ab 20h
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