: Wenn seine Aisha Brigitte heißt
Ein zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht – auch für im Ausland lebende Deutsche! Wer ständig im Ausland lebt, muß sich zwischen seinen Rechten vor Ort, die er nur als Staatsbürger bekommt, und dem deutschen Paß entscheiden ■ Von Renate Fisseler-Skandarani
Die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft wird mit verengtem Blick geführt. Aus der Debatte mehr oder weniger ausgeblendet bleiben all die Fragen, die den staatsbürgerlichen Status einer stetig wachsenden Zahl von Deutschen betreffen, die – häufig als binationale Paare und Familien – ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft im außereuropäischen Ausland haben. In der Mehrzahl sind das deutsche Frauen, die mit ihrem Partner in dessen Herkunftsland leben. Daß eine solche Bevölkerungsgruppe überhaupt existiert und wie groß sie zahlenmäßig tatsächlich ist – eine statistische Erfassung liegt leider nicht vor – scheint im politisch-rechtlichen Bewußtsein in Deutschland bisher kaum oder nur unter einem bestimmten Blickwinkel wahrgenommen zu werden. Ganz nach dem vorzeitlichen Motto: „Deutsche leben in Deutschland, höchstens in Europa, oder aber sie wandern endgültig aus“, verbleiben dieser Gruppe von außerhalb Europas lebenden Deutschen nur beschränkte Staatsbürgerrechte in Deutschland, beispielsweise Verlust des Wahlrechts bis 1998 nach zehn Jahren, jetzt nach 25 Jahren; Streichung sozialer Rechte, etwa im Hinblick auf Sozialhilfe oder Aufnahme in die Pflegeversicherung. Vor allem aber ist es dieser Gruppe bis jetzt nicht möglich, die Staatsangehörigkeit des Landes zu erwerben, in dem sie ihren Lebensmittelpunkt haben. Wenn sie diese erwerben, verlieren sie den deutschen Paß.
Während viele der heute in Deutschland eingebürgerten Ausländer – trotz der hierbei verlangten Verzichtserklärung – den Paß ihres Herkunftslandes anschließend zurückerhalten und de facto Doppelstaatler sind, besteht diese Duldung von Doppelstaatligkeit umgekehrt nur im begrenzten Rahmen klar definierter Ausnahmefälle. Der rechtliche Regelfall heißt: Mit dem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit geht die deutsche verloren. Lediglich Kinder aus binationalen Familien mit deutschem Elternteil sind heute von Geburt an Doppelstaatler.
Diese staatsbürgerrechtliche Situation unterscheidet die im außereuropäischen Ausland lebenden Deutschen grundlegend von vergleichbaren Bevölkerungsgruppen aus den meisten anderen Ländern Europas. Nicht nur wird hier doppelte Staatsangehörigkeit geduldet, in Ländern wie Frankreich und Italien verfügt die Gruppe der auf Dauer im Ausland lebenden Staatsbürger auch über eine eigene Interessenvertretung.
Ein Umdenken auf diesem Gebiet erweist sich in Deutschland als dringend erforderlich. Im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Reformprojekt heißt dies konkret, daß ein zeitgemäßes deutsches Staatsangehörigkeitsrecht auch solchen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen muß. In Zeiten der Globalisierung und Internationalisierung gibt es dafür vielerlei Gründe: Internationale Verflechtungen und Mobilität, sich wandelnde Lebenskonzeptionen, binationale Partnerschaften, persönlich-familiäre und berufliche Notwendigkeiten führen dazu, daß zahlreiche Deutsche auf Dauer außerhalb Europas leben. Ihre spezifische Lebenssituation – und hier wiederum ganz besonders die binationaler Partnerschaften und Familien – ist jedoch völlig anders als die früherer Auswanderer. Die im Ausland lebenden Deutschen verstehen sich meist als Wanderer zwischen den Kulturen. Sie reklamieren beide Länder für sich und bestehen auf eine fortdauernde persönlich-soziale wie kulturelle und rechtliche Verknüpfung sowohl mit Deutschland als auch mit dem Land, wo der momentane Lebensmittelpunkt liegt. Dieser Realität entspricht staatsangehörigkeitsrechtlich die Duldung von doppelter Staatsangehörigkeit.
Nehmen wir als Beispiel Tunesien. Mit TunesierInnen verheiratete AusländerInnen können nach zweijährigem Aufenthalt des Ehepaares in Tunesien die tunesische Staatsangehörigkeit erwerben, wobei sie nach tunesischem Recht ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten. Nach deutschem Recht ist dies nicht möglich. Mit der Annahme der tunesischen Staatsangehörigkeit verspielen sie den deutschen Paß. Dabei wäre die tunesische Staatsbürgerschaft Voraussetzung für einen abgesicherten Status. Gleich wie in anderen Ländern ändert sich mit dem Erwerb der tunesischen Staatsangehörigkeit grundlegend der Rechtsstatus im Lande. Und damit wird – was die CDU/CSU in Deutschlad gebetsmühlenartig proklamiert – die Integration nachhaltig gefördert. Andauernde Unsicherheiten, die mit dem Status des Ausländers/der Ausländerin verbunden sind, werden beseitigt, zuallererst im Hinblick auf die bis jetzt jeweils auf zwei Jahre befristete Aufenthalts- und jeweils auf ein Jahr befristete Arbeitsgenehmigung. Nicht nur die Arbeitsaufnahme wird erleichtert, auch unbefristete Festanstellungen sind so überhaupt erst möglich. Gleiches gilt für den Erwerb von Besitz, den AusländerInnen erst nach einem langwierigen Genehmigungsverfahren tätigen können. Hat die deutsche Frau die tunesische Staatsangehörigkeit nicht, führt dies dazu, daß Familienbesitz meist im Namen des tunesischen Ehepartners getätigt wird, der damit rechtlich zum alleinigen Besitzer wird. Bei Trennung oder beim Tod des Mannes kann dies zu existenziellen Schwierigkeiten der Frau führen. Diese Aufzählung ließe sich weiter fortsetzen...
Auf der anderen Seite bleibt die deutsche Staatsangehörigkeit die wichtigste Voraussetzung dafür, daß die persönlich-sozialen wie rechtlichen und kulturellen Bindungen und Bezüge von Deutschen und binationalen Familien, die außerhalb Europas leben, zu Deutschland auf Dauer bewahrt werden können. Ohne deutschen Paß wäre nicht einmal mehr eine Einreise ohne Visum möglich. Eine gänzlich absurde Vorstellung.
Die Vorbereitung einer umfassenden Staatsangehörigkeitsreform bietet auch die Gelegenheit, die Situation jener vor 1975 geborenen Kinder aus binationalen Familien (mit deutscher Mutter), die bis jetzt keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, neu zu überdenken. Zur Erklärung: Bis 1975 gaben lediglich deutsche Väter ihre Staatsangehörigkeit an ihre Kinder weiter, deutsche Mütter nicht. Seit 1975 erhalten alle Kinder mit einem deutschen Elternteil von Geburt an automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit und sind somit Doppelstaatler. Damals wurde den binationalen Familien eine gesetzliche Frist eingeräumt, um für ihre vor 1975 geborenen Kinder ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Ein Teil der Familien (besonders im Ausland) hat diese Frist aus verschiedenen Gründen seinerzeit nicht eingehalten bzw. nicht einhalten können, so daß heute weltweit nach manchen Schätzungen mehr als 100.000 (inzwischen erwachsene) Kinder mit deutschem Elternteil ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind. Gleich wie andere staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen (beispielsweise die deutscher Aussiedler), sollte auch dieser Problemkomplex einer Klärung zugeführt werden, und zwar im Sinne einer Gewährung der deutschen (und damit zugleich doppelten) Staatsangehörigkeit.
Und noch ein Letztes: Aufgrund der angedeuteten spezifischen Lebenssituation binationaler Partnerschaften und Familien mit und zwischen zwei Ländern wäre es mehr als wünschenswert, wenn den ausländischen Ehepartnern und -partnerinnen von Deutschen ebenfalls die Möglichkeit zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit eingeräumt würde, auch wenn der familiäre Lebensmittelpunkt im Ausland liegt. Das Staatsbürgerschaftsrecht in Frankreich und Italien beispielsweise läßt dies bereits heute zu. Derartige Projekte setzen freilich ein völliges Umdenken in Sachen Staatsbürgerschaft voraus und erscheinen unter den gegebenen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen in Deutschland als reinste Utopie.
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