: Sind Sie auch so enttäuscht?
■ Beim K.o. über Frans Botha zeigt sich, daß Schwergewichtsboxer Mike Tyson keinen Biß mehr hat - und keinen "Respekt" bekommt
Sind Sie jetzt enttäuscht? Nein? Oder doch so ein bißchen? Wie? Was die blöde Frage soll, und warum Sie enttäuscht sein sollten? Weil der Boxprofi Mike Tyson in der Nacht zum Sonntag im Grand Theatre des MGM-Hotels von Las Vegas einen Nicht-Titel-Kampf gewonnen hat.
Also nichts passiert ist.
Was hätte passieren sollen, fragen Sie? Nun, Tyson (32), hatte zum Beispiel der in Deutschland übertragende Pay-TV-Sender Premiere zwecks Erweiterung des Kundenkreises wochenlang versprochen, sei „gefährlich“. Es hatte aber mal wieder Bild gebraucht, um alle diffusen Erwartungen in eine klare Aufgabenstellung zu verwandelnd: „Tyson – wird er wieder beißen?“
Tyson hat Sonntag früh nicht gebissen.
In der ersten Runde sah es mal so aus, als würde er den Erwartungen genügen können und durchdrehen. Dann aber kriegte er sich doch wieder ein und schlug den Schwergewichtsprofi Frans Botha (Südafrika) durch K.o. nach 2:59 Minuten in der fünften Runde. Für Statistikfreunde: Es war sein 46. Sieg im 49. Kampf (40 K.o).
In aller Kürze: Tyson, ein Straßenkämpfer aus Brooklyn, saß wegen Vergewaltigung drei Jahre im Yoth Correction Center in Plainfield, Virginia. Seither hassen ihn nicht nur weiße Mittelschichtler, sondern auch schwarze Frauen. Tyson kehrte 1995 zum ersten Mal zurück, verdiente und verschleuderte einen dreistelligen Dollarmillionenbetrag. Tyson biß dann nach verlorenem ersten im Revanchekampf dem Weltmeister Evander Holyfield ein Stück Ohr ab – weil er nicht mehr weiter wußte.
Botha, ein weißer Faustkämpfer ohne richtigen Punch oder herausragende boxerische Intelligenz, hatte es gerne übernommen, die Empfindungen der weißen Öffentlichkeit im Ring in Worte zu fassen („Botha hat mich ausgelacht, mich angemacht, aber das ist cool“), lag nach vier Runden bei Experten um fünf Punkte in Front und lief dann am Ende von Runde fünf doch in einen Konter des konzeptlosen Tyson – eine kurze, schwere Rechte ans Kinn haute ihn um.
Tyson und die interessierten Fernsehsender versuchen nun eine Diskussion anzuzetteln über die boxerischen Fortschritte des Ex- Weltmeisters nach eineinhalbjähriger Pause auf der Straße zu Holyfield III und damit einer weiteren Steigerung des „Zahltags des Millenniums“. Dieses oder spätestens des nächsten. Das Thema Tyson als Boxer ist freilich selbst für Fachleute kam noch von Interesse. Ein abschließendes Wort ist längst gesprochen, von Muhammad Ali, der dem Kollegen bescheinigt hat, zu absoluter boxerischer Perfektion fehle es im Kopf. Es ist ja zehn Jahre her, daß das Publikum kam, um ihm in schaudernder Ehrfurcht 91 Sekunden lang bei der Arbeit zuzusehen: 1988 gegen Michael Spinks. Damals hatte die ganze Welt Angst vor Tysons Fäusten. Das heißt: Die Faszination lag innerhalb jenes Regelwerks, das man sich ausgedacht hat, um das Vergnügen zu legitimieren.
Daß Tyson die Regeln auf der Straße und im Hotelzimmer überschritt, ist die eine Sache. Das Interessante ist aber, daß er erst seit er sie auch im Ring überschritt, eine richtige Horrornummer geworden ist – und konsequenterweise nach Freud deshalb auch eine Lachnummer für die Late Night Shows der ganzen Welt. Da konnte er in Las Vegas gestern noch so oft „Respekt“ einfordern. Es gibt keinen mehr. Für den Menschen sowieso nicht – und für den Boxer auch nicht mehr. Im Grunde ist alles, was Tyson noch erreichen kann – neben einer Reaktivierung seiner Fähigkeiten als „Geldmaschine“ (Tyson) –, eine Steigerung des Grusels (und damit des Gelächters). Als er Botha glücklich umgeschlagen hatte, sprang vorne am Ring einer auf und jubelte. Es handelte sich um Herrn Schulz aus Frankfurt (Oder). Der will im April Tyson zum Kampf der, sagen wir mal, „Verlierer des Jahrhunderts“ fordern. Wer dann verliert, hat gewonnen. Peter Unfried
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