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"Europa ist noch zu provinziell"

■ Das Goethe-Institut ist wieder mit einem Zentrum auf Island vertreten. Sein Leiter Frank Albers und der Künstler Wolfgang Müller über die Neuorganisation, Geldmangel und HipHop

taz: Im März 1998 wurde das isländische Goethe-Institut in Reykjavik geschlossen, am 15. Oktober jedoch als Goethe-Zentrum wiedereröffnet. Wie kam es zu der rasanten Kehrtwende?

Frank Albers: Wir haben frühzeitig an einem Modell gearbeitet, wie man das Institut fortsetzen kann. Als im März klar war, daß es für die ursprüngliche Form keine Überlebenschancen mehr gab, wurde gleich nach der Schließung ein Trägerverein gegründet, der sich aus verschiedenen isländischen Gruppen zusammensetzt. Dazu gehören Deutschlehrer, der Fachbereich Germanistik an der Universität und Privatpersonen. Im Sommer hat der Verein einen Kooperationsvertrag mit der Zentrale des Goethe-Instituts in München unterschrieben. Das Modell ist nicht allein auf Reykjavik begrenzt, im finnischen Tampere wurde ein ähnlicher Trägerverein gegründet, auch in Marseille und Canberra werden solche Einrichtungen entstehen.

Das neue Goethe-Institut nennt sich Zentrum in Abgrenzung zur Mutter-Institution. Worin liegt der Unterschied?

Albers: Wir sind viel stärker in isländische Belange involviert, weil der Trägerverein an den Entscheidungen beteiligt ist. Deshalb können wir enger mit isländischen Partnern zusammenarbeiten. Vorher war das Goethe-Institut eine deutsche Einrichtung, die in sich geschlossen in Island existierte. Im Angebot ändert sich nichts, weil wir alle Organisationsformen und Strukturen durch direkte Kooperation übernehmen. Der Präsident der Goethe-Institute, Hilmar Hoffmann, hat uns bei seiner Rede zur Wiedereröffnung als gleichwertigen Partner innerhalb der Gesamtorganisation anerkannt. Wir können weiterhin Fortbildungsmaßnahmen, Symposien oder Stipendien nutzen und vergeben wie andere Goethe-Institute auch. Allerdings wurde der Sockelbetrag, auf den jedes Goethe-Institut zurückgreifen kann, reduziert. Jetzt ist es unser vorrangiges Ziel, daß dieser Betrag zumindest so weit angehoben wird, daß man davon zwei feste Stellen finanzieren kann und kleinere Veranstaltungen wie Lesungen oder Filmabende. Größere Projekte werden von der Zentrale über direkte Projektmittel bezuschußt. Es ist allerdings noch unklar, wie die Finanzierung, d. h. der Löwenanteil oder mindestens 60 Prozent durch das Goethe-Institut und der Rest aus der freien Wirtschaft, realisiert werden kann. Noch haben wir trotz Trägerverein außer den Beiträgen der über 100 Mitglieder kaum Eigenkapital. Und isländische Firmen wollen oder können nicht einsehen, warum sie ausgerechnet deutsche Kulturarbeit sponsern sollten. Unsere Partner sind künftig primär deutsche Sponsoren.

Als im letzten Sommer das Goethe-Institut im Rahmen einer Kunstaktion wiedergegründet wurde, gab es doch einige Unterstützung aus der isländischen Bevölkerung?

Wolfgang Müller: Ja, sicher. Die Schließung war konkret und die Empörung der Isländer entsprechend groß. Damals wollte man bereits die Bücherei des Instituts nach Kopenhagen auslagern, was ein ungeheurer Affront gegen Island gewesen wäre. Schließlich haben die Isländer viele Jahre darum gekämpft, ihr Kulturerbe, die mittelalterlichen isländischen Schriften, von Dänemark zurückzubekommen. Überhaupt ist fehlendes Geld als Argument nicht plausibel, weil neue Goethe-Institute in Estland, Lettland, Litauen und der Ukraine gegründet wurden.

Albers: Es ist aus Sicht der Isländer schwer zu verstehen, warum ein Institut geschlossen wird, um einen Jahresetat von gerade einmal 380.000 Mark zu sparen. Die Entscheidung kam ja auch nicht aus München, weil man Island etwa als Klotz empfunden hätte; sie wurde als Sparmaßnahme vom Finanzministerium verfügt, da man wegen der veränderten politischen Lage im Osten präsenter werden mußte. Das war plötzlich alles an die Nachfrage gebunden.

Müller: Es ist haarsträubend, wenn nicht nur eine Stadt, sondern ein ganzes Land aus dem kulturellen Zusammenhang fällt.

Albers: Was das Goethe-Institut ja auch schnell eingesehen hat. Nur hätte man die Entscheidung nicht einfach rückgängig machen können, dann wäre der Gesichtsverlust zu groß gewesen. Also mußte man eine gleichwertige Ersatzlösung finden. In anderen Ländern hat sich diese Organisation schon durchgesetzt: Das Institut Français arbeitet auf der Basis von Trägervereinen – und es klappt.

Wie kann ein Haus mit zwei halben Stellen funktionieren?

Albers: Mit den jetzt vorhandenen Mitteln längerfristig nur schwer. Praktisch arbeite ich ohnehin auf voller Stelle: Ich sitze zehn Stunden täglich im Büro, bekomme aber Geld für eine halbe Stelle. Mein Leben finanziere ich mit einer Dozentenstelle an der Universität. Es funktioniert nicht, das weiß man auch in München.

Wie sind im Vergleich dazu die Chancen deutscher Projekte, wenn sie Geld bei isländischen Institutionen beantragen?

Müller: Sehr gering. Schon die isländischen Künstler, die im Living Art Museum von Reykjavik ausstellen, müssen einen Teil der Miete selbst aufbringen. Private, sich selbst tragende Galerien gibt es nicht, weil das Käuferpotential bei etwas über 250.000 Einwohnern zu klein ist.

Albers: Der Transfer funktioniert am besten, wenn die größere Institution der kleineren hilft. Das gilt für die Literatur, wo es zwischen dem Literarischen Colloquium Berlin und Island seit Jahren einen regen Austausch gibt. Wir wollen die Kooperation nun aufs Theater ausdehnen. Zunächst ist eine Revue in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Schmidt-Theater geplant. Wenn man allerdings isländische Künstler nach Deutschland holt, fehlt es an der entsprechenden Sprachkompetenz auf deutscher Seite – es sei denn, man führt Stücke in Englisch auf.

Um bei der Sprache zu bleiben – die „FAZ“ hält Sie für eine Fehlbesetzung, weil Sie kein Isländisch sprechen.

Albers: Die Verständigung läuft problemlos auf englisch und schwedisch, außerdem lerne ich zur Zeit Isländisch. Aber darum geht es nicht. Da das Goethe-Institut Mitarbeiter weltweit nach dem Rotationsprinzip alle fünf Jahre wechselt, muß man nicht jede Sprache lernen, die vor Ort gesprochen wird. Das ist auch gar nicht das Ziel: Im Kulturmanagement funktioniert die Kommunikation auf englisch oder in anderen internationalen Fremdsprachen.

Spiegelt sich in der Kritik nicht auch die Enttäuschung darüber, daß das Goethe-Institut zu wenige deutsche Tugenden – etwa universelle Bildung – verkörpert? Schließlich definieren sich die Goethe-Institute noch immer als dritte Säule der deutschen Außenpolitik.

Albers: Natürlich muß sich der Leiter eines Goethe-Instituts in den jeweiligen lokalen Kulturszenen zurechtfinden. Aber wenn man zu sehr damit verwurzelt ist, geht irgendwann der Kontakt zum eigenen Herkunftsland verloren. Das ist falsch, schließlich geht es darum, die eigene Kultur im Gastland zu repräsentieren. Jede einseitige Ausrichtung wirkt sich fatal aus: Das Goethe-Institut Reykjavik war vom Rotationsprinzip ausgenommen, und meine Vorgängerin war zuletzt auch privat so tief mit Island verbunden, daß ihr die Rückbindung vollkommen fehlte. Woher sollte sie beurteilen, was in der aktuellen deutschen Kulturlandschaft passiert?

Ein anderer Vorwurf lautet, daß das neue Programm mit HipHop-Konzerten und Fontane-Lesungen zu beliebig bleibt. Haben Sie kein Konzept?

Albers: Wir wollen neue Gruppen an uns binden. Dafür müssen wir von dem Goethe-Elitarismus wegkommen, der in vielen Städten dazu geführt hat, daß nur kleine Minderheiten überhaupt Zugang zu dem Programm haben. Im speziellen Fall Island ist eine wichtige Zielgruppe ganz klar die Jugend, für die Deutsch als Fremdsprache unpopulär geworden ist. Das Interesse von Schulabgängern und Abiturienten weckt man nicht ausschließlich mit Goethe- oder Fontane-Lesungen, sondern mit einer Kultur, von der sich Jugendliche angesprochen fühlen. Das sind dann möglicherweise HipHop- Konzerte. Man muß einen zeitgemäßen Rahmen finden, und an diesem neuen Konzept von Multimedia bis Live-Präsentation arbeiten auch andere Goethe-Institute. Wir haben jetzt eine Marlene- Dietrich-Revue geplant, weil sie den momentanen Zeitgeist auf Island anspricht – es gibt ein 20er- und 30er-Jahre-Revival.

Müller: Immerhin hat Marlene Dietrich auf einer Live-LP einen Song mit den Worten angekündigt: „Und jetzt ein Lied, das mir sehr am Herzen liegt. Ich sang es während des Krieges. Ich sang es drei Jahre lang: in Afrika, in Italien, in Alaska, Grönland und... auf Island.“

Albers: Als nächstes werden wir allerdings für eine völlig andere Zielgruppe ein Kölner Barock-Ensemble einladen, und im Herbst ist ein Programm mit der Entertainerin Gayle Tufts vorgesehen. Zwischendurch gibt es im Februar Rezitationen und eine Ausstellung zu Heiner Müller sowie umfangreiche Veranstaltungen zum Goethe-Jahr und Weimar als Kulturhauptstadt Europas. Aber das Hauptaugenmerk liegt darauf, bei möglichst niedriger Schwelle Angebote zu machen, um ein neues Publikum heranzuziehen. Dafür muß die Palette weiter gefächert werden als allein mit den Klassikern.

Fühlen sich Künstler von Island angezogen, weil die Trennung von U und E auf einer so abgelegenen Insel keine Rolle spielt?

Müller: Ich glaube schon, daß die Kleinheit des Landes einen unkonventionellen Umgang mit Kultur befördern kann. Als Hamburgs erste Punkband The Great White Idiot oder so ähnlich 1977 in Reykjavik auftrat, kamen unglaubliche Menschenmengen zum Konzert, weil man das neue Phänomen mal sehen wollte.

Braucht ein Land, das Elfen ebenso akzeptiert wie Punkrock und das als erstes die Homo-Ehe legalisiert hat, zum besseren Kulturverständnis überhaupt deutschen HipHop aus dem Hause Goethe?

Albers: Das Bild der fortschrittlichen isländischen Gesellschaft ist bloß ein Klischee. Nach meinen Erfahrungen ist es wie in jedem anderen mitteleuropäischen Land: Man gibt sich tolerant, legt aber Wert auf Tradition und ist mitunter genauso provinziell.

Müller: Trotzdem hat die abgeschottete Lage der Insel viel zur Aufgeschlossenheit beigetragen. 40 Prozent der Bevölkerung haben Internet-Zugang, das ist weltweit Spitze, über 60 Prozent aller Kinder sind unehelich, ebenfalls Weltspitze. Andererseits müssen sich Isländer immer wieder gegen die Ignoranz und Arroganz der sogenannten Großen wehren. Als der Euro 1996 in Frankfurt vorgestellt wurde, war Island auf den neuen Geldscheinen vergessen worden. Darauf gab es Proteste isländischer Interessenverbände, die übrigens erfolgreich waren. In den hiesigen Medien wurde über den Skandal nicht oder unter der Rubrik „Vermischtes“ berichtet. Vielleicht ist Europa da noch zu provinziell.

Albers: Man könnte auch sagen: Als Außenseiter reagieren Isländer stets hyperkorrekt. Interview: Harald Fricke

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