Von Katzen und Menschen

■ Michael Binder zeigt in der Galerie Reinfeld Tierzeichnungen

Eine alte Werbeweisheit lautet: Tiere und kleine Kinder gehen immer gut. Und wenn jemand Katzen malt, jene kleinen putzigen Zeitgenossen, denen wir allabendlich ein pertersilienverziertes Schälchen Sheba unter die Stupsnase schieben, dann sind ihm zumindest im haustiervernarrten Deutschland die Sympathien sicher, während in Feuilletonkollegenkreisen so mancher die Nase rümpft und irgendwas von dekorativer Sonntagsmalerei brummelt.

Vieles, auch sowas, kann einem in den Sinn kommen, wenn man Michael Binders Katzenzeichnungen in der Galerie Reinfeld betrachtet. Hans-Wolf Jäger hingegen, Germanistikprofessor an der Bremer Uni, fühlte sich in seiner Einführungsrede anläßlich der Vernissage an mythologische Fabelwesen erinnert, verwies auf den bekannten Kater Murr, katzophile Schriftsteller, die Bibel und die Biedermeierzeit. Doch was man sieht auf Michael Binders unscheinbaren, manchmal dezent kolorierten Tusche- und Bleitiftzeichnungen sind zunächst nicht mehr als Katzen. Mal eine allein, mal sind sie zu zweit, manchmal auch zu dritt. Und ab und an – wobei den Katzen in diesen Augenblicken der Widerwille deutlich anzusehen ist – müssen sie das Bild mit einem Menschenkopf teilen.

Binders Arbeiten fehlt jede theatrale oder effektheischende Aufdringlichkeit. Sie sind unspektakulär, erscheinen in ihrer Selbstbezüglichkeit nicht im geringsten interessiert am wertenden Urteil anderer. Sie sind einfach nur was sie sind und darin ein hundertprozentiges Spiegelbild ihres menschenscheuen Schöpfers, der abwechselnd in Bremen und in Süditalien lebt.

Vor zehn Jahren warf ihm ein apulischer Nachbar eine halbtote Katze über den Zaun. Seitdem teilt der 61jährige seine Wohnung mit ihr und drei weiteren Katzen, die später hinzukamen. Eine notorische, beinahe schon ins Unanständige gehende Katzenliebe bescheinigte ihm Jäger. Binder widersprach dem nicht. Und doch wird man im Angesicht dieser Zeichnungen mit der Zeit den Eindruck nicht los, daß das Interesse des Künstlers weitaus mehr als den Tieren selbst dem gilt, wofür die Katzen in Binders Augen stehen.

„Die Natur“, sagt Binder, „ist nicht neurotisch“. Je nachdem, wie man den Satz verstehen will, spricht da entweder ein vom Schicksal gebeutelter Misantroph, ein Naturromantiker oder schlicht ein Mensch, dem die Menschheit und ihr eitles, lächerliches Treiben ein großes Rätsel geblieben ist, dessen Auflösung ihn nicht einmal mehr sonderlich interessiert. Lieber malt er Katzen, wie sie spielen, sich balgen und in anderen für sie typischen Situationen. Und zuweilen, wie auf einigen Bildern zu sehen, wo Binder Selbstporträts mit der Physiognomie einer Katze gezeichnet hat, träumt Binder gar davon, nicht einfach nur ein Mensch sein zu müssen.

Nicht nur die körperlichen Grenzen überschreitet Binders, wohl auch religiös motivierte, Fähigkeit zur Empathie. In einem Künstlerbuch, das ebenfalls in der Galerie ausliegt, erzählt der Künstler die Geschichte seines italienischen Nachbarn Fioravante, der seinen Hund nur deshalb erhängt hat, weil der ihm auf die Nerven ging. Binder „Requiem für einen apulischen Hund“ zeigt den Hund in der Pose des gekreuzigten Jesus und parallelisiert seinen Tod in Zeichnungen mit Massenkatastrophen wie Schiffs- und Flugzeugunfällen. Das mutet grotesk an, wirkt wie die völlig überzogene Interpretation des Bibelwortes, daß das, was man dem geringsten antue, auch Gott zugefügt werde. Aber vielleicht sagt diese abwehrende Reaktion mehr über uns als über Binder, mehr über unsere zu große Abgebrühtheit als über seine zu ausgeprägte Sensibilität aus.

Das Buffet zur Vernissage war mit Fleischbällchen bestückt. Wahrscheinlich hat Michael Binder darum einen großen Bogen gemacht. zott

Die Ausstellung mit Zeichnungen von Michael Binder ist in der Galerie Reinfeld, Am Weidedamm 7, bis zum 6. Februar zu sehen. Öffnungszeiten: Mi+Fr 12-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr. Weitere Infos unter Tel.: 35 57 07