: Ein Schatten, der über das Gesicht huscht...
■ Wenn Gesten genügen, sind Große am Werk: S. Berger in „Liebe und weitere Katastrophen“ (ARD, 20.15 Uhr)
Franziska Ackermann ist fünfzig Jahre alt, verwitwet, bankrott und Mutter zweier Söhne. Einer ist schwerbehindert und der andere ein Sprayer, was auf der Problemebene für Franziska ungefähr die gleiche Qualität hat. Mittelstand im Abstieg: Das schöne Haus mit Garten läßt sich nicht mehr lange halten, die Schulden – vom Ehemann geerbt – gehen in die Hunderttausende. Noch verschließt Franzi die Augen vor dem Chaos ihres Lebens, was nur bedeutet, als daß sie den Schein zu wahren sucht. David (Matthias Schloo) soll zurück auf das teure englische Internat, das der Bankiersschwager finanziert. Und der mongoloide Bobby ist Franzis Ausflucht vor den Möglichkeiten des Lebens: Sie muß sich ja kümmern.
„Liebe und weitere Katastrophen“, ein Vierteiler von Bernd Fischerauer (Regie) und Gabriela Sperl (Buch), kennt Probleme satt: finanzielle Not, drohende Obdachlosigkeit, Angst vor der Zukunft, Fallen der Toleranz, dann die kleine Schwäche für den Richtigen zum scheinbar falschen Zeitpunkt... Wie sollen Franziska und ihre neue Freundin Rita, eine obdachlose Mutter zweier traumatisierter, suizidgefährdeter Kinder, das alles schaffen? Aber auch: Welche Funktionen mißt das Drehbuch dabei Franzis neuen Nachbarn zu, dem Psychologieprofessor, Manager-Coach und „Scheiß 68er“ Maximilian (Friedrich von Thun) und seiner Frau Mechthild (Susanne von Borsody)? „Liebe und weitere Katastrophen“ ist wunderbar besetzt. Senta Berger kann so gänzlich ohne Worte den Leidensvorlauf vermitteln, den es braucht, um sich der Wirklichkeit endlich zu ergeben, aber auch die Zähigkeit, sie bewältigen zu können. Wann, so fragt man sich, bricht diese Franzi endlich zusammen, wann kann sie nicht mehr? Das macht gute und sehr gute Schauspieler aus: Sie müssen nicht großartig herumquatschen oder zappeln, um etwas zu erzählen. Ein Schatten, der über das Gesicht huscht, eine Handbewegung, und der Zuschauer weiß Bescheid. Das also können sie, Friedrich von Thun, Susanne von Borsody, Michaela May (Rita) und Michael Mendl (der Schwager).
Nun ist „Liebe und weitere Katastrophen“ aber auch als Familienserie konzipiert, was heißt, daß die Zuschauer durch all die Probleme nicht allzusehr verschreckt werden dürfen. Die Armut Ritas ist also adrett, der Reichtum von Max und Mechthild wird immer auch altruistisch zum Wohle der – das ist wichtig! – unschuldig Verarmten angewandt.
Das Streben des Bayerischen Rundfunks nach, so heißt es immerhin, „Spitzenquoten trotz Spitzenqualität“ beschert dem Zuschauer Komik, Selbstironie und Bitterkeit, aber auch Retortenwunder satt: Die unerwartete Schwangerschaft der alten Liebe stört das neue Glück? Her mit der Fehlgeburt! Man sieht diesen Wundern bei ihrer Verfertigung dennoch gespannt zu, was wiederum an den Schauspielern liegt. Der größte – und auch zweifelhafteste – Trick ist jedoch Bobby Ackermann (Bobby Brederlow, der auch im wirklichen Leben mit Down-Syndrom geboren wurde), der mongoloide Sohn von Franzi. Der herzensgute und -kluge, kindliche und doch lebenstüchtige Bobby fungiert als Integrationsfigur, die alle Beteiligten zusammenschweißt. Oder soll man doch eher sagen, Bobby wird vom Film benutzt?
Im wirklichen Leben treffen Arme und Kranke selten „die genau Richtigen“, verliebt sich ein Finanzbeamter selten in eine Obdachlose. Aber das hier ist ja auch Fernsehen zur Hochkonjunktur des Backlashs. Was bleibt? Viva Senta Berger! Anke Westphal
Teil 2 morgen; Teil 3 u. 4 Mi./Do., 27./28.1., jeweils 20.15 Uhr, ARD
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen