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Auf dem Weg zu Geld, Ehre und zum Mond

■ Pop, der nach Größe ruft: RAZ und No Underground Records stellen sich im Maria vor

Man stelle sich etwa folgendes Szenario vor. Das Hauptquartier des Independent-Labels Kitty-Yo in der Brunnenstraße, Plattenstapel hier, CD-Stapel da, unausgespülte Kaffeetassen und überquellende Aschenbecher. Die Tür geht auf, und ein unscheinbarer Neunzehnjähriger spaziert herein. Sagt, daß er eine Demo-CD dabeihat, ob sie jemand hören will. Was soll das schon groß sein, denken sich die gestandenen Independent- Plattenverleger, aber wer weiß, es lenkt von der Arbeit ab und warum eigentlich nicht.

Irgendwo im tieferen Independent-Pop-Unbewußten lauert wahrscheinlich außerdem die Geschichte mit Elvis und dem Sun- Studio, wie bei jedem anständigen Kleinlabelbetreiber. Er komme morgen wieder, um sich die Demo- Platte wiederzuholen, sagt der junge Mann und geht. Also, hinein mit der CD und den Kitty-Yo-Machern bleibt der Mund offen stehen. Was für eine Stimme, was für eine Stimme, und der soll neunzehn sein? Hektische Recherche, will uns da jemand reinlegen? Ist das ein aus dem Netz gezogener Major-Act? Am nächsten Tag kommt er wieder. Und auf die Frage, wo er denn mit seiner Musik hinwill, sagt er: „Zum Mond.“

So oder ähnlich ging es zu, als RAZ, der kommende Shooting- Star auf Kitty-Yo, seinen Plattenvertrag bekam. Ausgerechnet bei Kitty-Yo, die ja eher für fortschrittliche Musik in kleinen Auflagen an der Schnittstelle von Elektronik und Bandkonzept bekannt waren. Und tatsächlich: Dafür, daß die Tracks allesamt von RAZ zu Hause aufgenommen worden sind, hört sich das erstaunlich an.

Zu Hause ist er in Berlin, heißt Patrik Rasmus, ist hier aufgewachsen, und seine Eltern sind Dänen. Musiksozialisiert hat er sich mit HipHop, und daß er alles und jeden, was sich zeigt, an die Wand freestylen kann, beschwören alle, die schon einmal Zeuge waren, wie RAZ fünf Stunden lang das Mikrofon nicht aus der Hand gegeben hat. Doch seine selbstaufgenommenen Tracks haben HipHop nur noch als Referenz, eigentlich ist es eher irgendwo zwischen Downtempo und R'n'B angesiedelte Popmusik. Zwar rappt RAZ ab und zu, die meiste Zeit singt er jedoch.

Zusammen mit RAZ stellen sich im Maria am Ostbahnhof No Underground Records vor, ein neues Plattenlabel rund um die Gruppe, formerly known as Wohnung, deren Platte „That's Cash“ ja schon des öfteren hoch gelobt wurde, deren Veröffentlichung sich jedoch ein ums andere Mal zerschlug. So haben sie ihre ganze Platte noch einmal eingespielt und bringen sie jetzt auf ihrem eigenen Plattenlabel heraus. Irgendwo zwischen Low-Fi-Produktion und Dancefloor sitzen No Underground zwischen den Stühlen, gerade weil es eigentlich Pop ist – Pop, der nach Größe und Glamour ruft.

In Zeiten, wo Pop aus den Charts fast gänzlich verschwunden ist, tauchen sie an allen möglichen Rändern wieder auf: die Gruppen und Sänger, an denen die ganzen Binnendifferenzierungen abgleiten, weil sie nicht ein neues Mikrogenre eröffnen, das mit einem Avantgarde-Selbstverständnis die Welt noch einmal neu erfindet. Sie wollen statt dessen Geld, Ruhm, Ehre und zum Mond. Tobias Rapp

Do., 21.1: RAZ (to the moon), No Underground & DJs; Maria am Ostbahnhof, 22 Uhr

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