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Rekonvaleszenz Von Fanny Müller

Wenn man sich in einem rekonvaleszenten Zustand befindet, glauben sie ja alle, daß sie mit einem machen können, was sie wollen. Der Familienrat trat zusammen und beorderte mich aufs Land – zur Erholung! –, obwohl mir nach endlosen Spitalaufenthalten der Sinn mehr nach „Shopping bis zur Tagesschau“ (Slogan des Altonaer Einkaufszentrums Mercado) stand oder nach dem Besuch schicker Nachtclubs. Die gibt's aber wohl gar nicht mehr, außer in Filmen aus den 30er Jahren und in Form von „Café Keese“. Das ginge zur Not noch; gegen Damenwahl habe ich gar nichts einzuwenden, wenn man sich mal vor Augen führt, wie das Angebot in Hosen heute aussieht.

Neben dem Einatmen der sogenannten frischen Luft soll ich in erster Linie das Haus von Tante Lorchen einhüten. Tante Lorchen erholt sich ihrerseits in New York. Zu behüten ist allerdings weniger das Haus als „Katze“, wie Lorchens 19 Jahre alte Katze heißt. Katze ist nachts wach und miaut durchs Haus. Wenn die dann Ruhe gibt, ist es auch schon Zeit für die Hähne, und danach fährt man offenbar einmal mit dem Trecker um den Block und sieht nach, ob die Äcker noch da sind.

Ansonsten gewöhne ich mich langsam ein. Ich habe immer etwas Kleingeld dabei, falls mich mal ein Bauer um ein paar Groschen anhaut, aber bis jetzt hat noch keiner gefragt. Und ungefragt will ich hier auch niemandem Geld zustecken, die Leute werden sonst vielleicht zu zutraulich. Vor der Post hängen keine Junkies rum, man kann sie aber trotzdem recht gut finden – die Post – sie haben so ein gelbes Schild davorgehängt, mit einem Posthorn drauf. Wenn man mehr als 30 Mark abhebt, muß man dem BLICK standhalten, der besagt: „...wo wollen Sie das denn hier ausgeben?“ In der Post wurde mir von der guten Landluft ein wenig schwindlig, da wurde ich teilnahmsvoll von der Frau Post gefragt: „Eishockey?“ Nein, nein, versicherte ich hastig, aus dem Alter wäre ich raus und... Es hieß in Wirklichkeit aber „Alles okay?“

Rundherum ist es lauter als auf dem Kiez, die Nachbarn feiern nachts und saufen wie die Punks, danach spielen sie Trompetensolos in den Nachthimmel, damit ich wach werde, und wenn ich dann wieder am Einschlafen bin, brüllen sie noch ein paar Geschichten über Schleswig-Holstein-meerumschlungen oder Nordseewellen mit Akordeonbegleitung in Richtung Pferdekoppel.

Das Schlimmste ist die nichtvorhandene Koffeindealerszene in den Dörfern zwischen den Kuhweiden. In der einzigen Kneipe gibt es praktisch nur „Lütt un Lütt“ für die Herren (Bier und Korn) oder das „Damengedeck“ (Korn und Bier). Wie oft habe ich mir im Halbschlaf des marternden Koffeinentzuges einen mobilen Espressostand gewünscht, der klingelnd übers Land fährt und seine Kundschaft mit den süßen Rufen „Schpressuuu, Naaatas, Krossang mit Ziegekäse“ ... (Autorin wird von Weinkrampf geschüttelt) lockt. Dazu spielt einem ein Endlostonband Cafégeräusche ein. Dialogfetzen wie „...das erinnert mich an meinen Dreh in Rom...“, „...als Art Director muß ich da ganz anders rangehen...“, „Emilia, hast du noch zwei Doltsche für mich?“ lassen ein Heimatgefühl entstehen, so daß man spontan einen politisch höchstwahrscheinlich unkorrekten Vertriebenenabend einberufen möchte.

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