: Nationalsport wird Politspielball
Vor dem Gastspiel des pakistanischen Cricket-Nationalteams in Indien versucht der Demagoge Bal Thackeray den Haß zwischen Hindus und Muslims zu schüren ■ Aus Bombay Bernard Imhasly
Cricket mag traditionell ein eher unaufgeregter Sport sein. Aber wenn am Freitag das pakistanische Team zum ersten Mal nach elf Jahren für zwei Testmatches in Madras und Delhi erwartet wird, stehen die indischen Behörden unter erhöhter Alarmbereitschaft.
Am Montag stürmte eine Gruppe von etwa siebzig Anhängern der hindu-chauvinistischen Shiv-Sena-Partei das Büro des nationalen Cricketverbandes im Stadtzentrum von Bombay. Mit Hockeystöcken und Brechstangen bewaffnet, zerstörten sie Trophäen, darunter den Cricket-Weltcup von 1983, verletzten drei Personen und skandierten Slogans gegen das pakistanische Gastspiel. Es war bereits der zweite Sabotageversuch, nachdem Shiv-Sena-Anhänger am 6. Januar das Cricketfeld im Stadion von Delhi aufgegraben hatten, um eine Absage der Tour zu erzwingen. Hinter der Agitation steht der Shiv-Sena- Chef Bal Thackeray, der aus seinem Haß gegen Muslime im allgemeinen und Pakistan im besonderen kein Geheimnis macht. In gewohnt selbstherrlichem Ton hat er geschworen, er werde nicht zulassen, daß Pakistanis auf indischem Boden Sport treiben, während sie in Kaschmir Terror säen.
Maharaschtra mit seiner Hauptstadt Bombay ist die Hochburg der Shiv Sena. Die Partei ist auch ein Mitglied der Regierungskoalition unter Führung der hindu-nationalistischen BJP. Für Premierminister Atal Behari Vajpayee sind die Aktionen besonders peinlich, nachdem er sein ganzes Prestige in die Waagschale geworfen hat, um die Spiele gegen Pakistan zu ermöglichen. Er war bisher nicht imstande, den Koalitionspartner an die Regierungslinie zu binden und Thackerays Banden das Handwerk zu legen. Der Angriff vom Montag geschah, als sich Innenminister Advani in Bombay aufhielt. Wie Vajpayee verurteilte auch er die Angriffe und versprach, daß ein massives Sicherheitsaufgebot sicherstellen werde, daß die Spiele durchgeführt werden können. Shiv-Sena-Führer haben gedroht, daß ihre Anhänger Eintrittskarten kaufen und mit Aktionen Spielabbrüche erzwingen würden.
Cricket ist Indiens und Pakistans unbestrittener Nationalsport. Längst schon ist er mehr als ein Relikt aus der Zeit der britischen Kolonialherren und wird auf sorgfältig manikürten Grasplätzen ebenso gespielt wie in den Slums und staubigen Dörfern, selbst wenn dort das Wicket durch ein Holzbrett ersetzt wird. Mit dem Dulden der Gesetzesbrüche aus den eigenen Reihen verliert nicht nur Regierungschef Vajpayee immer mehr Vertrauen in der Bevölkerung. Auch Bal Thackeray betreibt ein gefährliches Spiel. So stark seine politische Stellung in Maharaschtra bisher war, mit den Aktionen gegen die Cricketspiele legt er sich mit einem Sport an, mit dem sich viele Menschen identifizieren – vor allem in Bombay, denn aus keiner Stadt stammen mehr berühmte Cricketspieler, die auch weltweit zu den Großen des Sports gehören. Die meisten von ihnen haben Cricket im gleichen Shivaji Park gelernt, wo auch Bal Thackeray vor 30 Jahren seine ersten Brandreden gegen die Übernahme der Stadt durch Zugewanderte gehalten hat. Und paradoxerweise waren sowohl die Liebe für den Sport als auch der Applaus für den Demagogen Thackeray eine Antwort auf die Frustration vieler Mahraten, die nach der Euphorie der Unabhängigkeit ihren politischen Einfluß im Land schwinden sahen.
Noch heute ist Shivaji Park ein Cricketzentrum. Über 30 Netze sind über dem Maidan, dem riesigen baumumsäumten Grasplatz, aufgespannt und trennen die Spielfelder voneinander. Die meisten Spieler sind Schüler, die von einer Cricketkarriere träumen, wie sie Sachin Tendulkar hinter sich hat, der hier großgeworden ist und heute einer der bestbezahlten Sportler der Welt ist. Die meisten kritisieren den Boykottaufruf Thackerays. „Sport und Politik haben nichts miteinander zu tun“, sagte ein Spieler, „es beginnt beim Cricket, dann kommen andere Sportarten dran, schließlich brechen alle Beziehungen ab.“
Auch viele Hindus sind Thackerays Tiraden müde. Seine Politik bestand immer schon vornehmlich aus Haßkampagnen – zuerst gegen Zugewanderte, seit einigen Jahren gegen die Muslime. Der Untersuchungsbericht über die religiösen Ausschreitungen von 1993 kam zu dem Schluß, daß Thackeray die Hauptverantwortung für die Massaker an Muslimen trug. Einmal an der Regierung, hatte Shiv Sena wenig zur Lösung der Staatsprobleme beizutragen. Thackeray sah seine Hauptaufgabe darin, Bahnhöfe, Straßen und Städte ethnisch korrekt umzubenennen.
In einem Jahr muß sich die Partei Neuwahlen stellen. Nach seinen Angriffen gegen den Nationalsport dürften seine Chancen gesunken sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen