: Samurai mit Trillerpfeife
■ Das Metropolis widmet dem japanischen Regisseur Kato Tai eine umfassende Hommage
Kritiker und Cineasten haben das japanische Kino geliebt. Pauschal mit dem Modernismus-Prädikat versehen, stand es seit den 50er Jahren für ein Kunstwollen ein, das in den elliptischeren Erzählformen, komplexeren Zeitstrukturen und kalligraphischen Bildoberflächen japanischer Regie-Großmeister wie Ozu oder Mizoguchi endlich das ersehnte Reich der Zeichen fand. Um so verblüffender ist es deshalb, zu erleben, daß auch in Japan ein florierendes Genre-Kino existiert hat, das sich dem Gegensatz von Kunst und Kommerz nicht so einfach fügte. Neben den chambaras, den populären Schwertkampf-Epen, wurde dieses Kino genauso durch das Genre des Yakuza-Films geprägt. Von Takeshi Kitano wieder in Erinnerung gebracht, waren die japanischen Mafia-Thriller der 60er Jahre ebenso blutig wie godardesk ästhetisiert; im Westen verbindet man sie – wenn überhaupt – mit dem von Schrader und Scorsese so geschätzten Seijun Suzuki.
Ein Regisseur, der in beiden Genres Beeindruckendes geleistet hat, ist der hierzulande leider noch komplett unbekannte Kato Tai. Um das zu ändern, hat das Metropolis weder Kosten noch Mühen gescheut und veranstaltet eine der teuersten Retrospektiven in seiner Geschichte. In einer Hommage sind nun zwölf Filme des Meisters jeweils ein einziges Mal zu sehen. Bei dieser Reise durch das japanische Genre-Kino ist einiges zu erleben, zum Beispiel auch, wie im Fall von Sasuke And His Comedians, daß alle hermeneutischen Schlüssel komplett versagen. In diesem bunten historischen Schwertkampf-Spektakel, das laut Programmheft die japanischen Jugendunruhen reflektiert, verleiht ein radioaktiver Komet einem Kind magische Fähigkeiten, die seine Augen zu billigen Space-Sounds in bester Jack-Arnold-Manier blau aufleuchten lassen, springt ein halsbekrauster Barde mit Gitarre gelegentlich über die Leinwand, während sich die Recken vor der Entscheidungsschlacht mit Beatmusik beim Tanzwettbewerb entspannen. Als wäre das noch nicht genug an Stilbrüchen, verwandelt sich ein Samurai in einen Schupo und dirigiert mit Trillerpfeife und Handzeichen die Kohorten durch eine zehnminütige Musical-Einlage.
Der schwarz-weiße Fighting Tatsu The Rickshaw Man hingegen vertraut stärker auf melodramatische Mittel und Deep-Focus-Kompositionen, wenn er von den Loyalitätskonflikten eines Rickshaw-Fahrers in der Tokyoter Unterwelt erzählt. In ihnen, wie in den meisten seiner in der Gegenwart spielenden Gangsterfilmen, tritt Kato Tai als kompromißloser und sehr persönlicher Genre-Stilist hervor, der für einen untersichtigen Weitwinkel-Shot nicht nur jederzeit ein Loch in den Boden gegraben hat, sondern die Entdeckung im Westen mehr als verdient.
Tobias Nagl
Red Peony Gambler – Flower Cards Match: So, 24. Januar, 21.15 Uhr. Red Peony Gambler – Oryu's Visit: Mo, 25. Januar, 21.15 Uhr. History Of A Man's Face: So, 31. Januar, 21.15 Uhr. Die Reihe wird im Februar fortgesetzt.
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