: Ding und Unding im Rotlicht
Abstrakter leuchten: Das frühere Werkbundarchiv wurde umbenannt in „Museum der Dinge“ und kehrt im Juni zurück in den Martin-Gropius-Bau. Zur langen Nacht der Museen leuchtet aber schon Rot Block ■ Von Katrin Bettina Müller
Ist Ihnen je aufgefallen, daß Superman in den gleichen blauroten Farben zum Himmel steigt wie die Jungfrau Maria? Das rote Hemd und die blaue Krawatte, die der amerikanische Präsident Bill Clinton bei seinem Berlin-Besuch trug, brachte Angelika Thiekötter auf diese Spur. Als Leiterin des Werkbundarchivs ist sie Spezialistin des schönen Scheins, denn dort wird die Zeichensprache der Dinge untersucht, die jeder benutzt und doch kaum einer kennt.
Den Weg ins Werkbundarchiv zu finden, verlangte viele Jahre lang Geheimwissen. Denn nicht immer konnte das Museum Postenketten aufstellen wie bei der Pressekonferenz am Mittwoch, auf der die Rückkehr in umgebaute und erweiterte Räume des Martin- Gropius-Baus angekündigt wurde. Erleben konnte man den neuen Zugang über eine verbreiterte Treppe leider noch nicht. Statt der geplanten Baustellenbesichtigung mußte man sich mit Dias im gegenüberliegenden Abgeordnetenhaus begnügen.
Die Entschlüsselung der Dinge des Alltags
Verdient hat das kleine Museum eine größere Beachtung aber auf jeden Fall. Denn die Ausstellungen, die zwischen 1986 und dem durch den Umbau erzwungenen Auszug 1997 in drei im Obergeschoß versteckten Räumen inszeniert wurden, zeichneten sich durch einen interdisziplinären Schwung aus, der museumsübliche Spezialisierungen weit hinter sich ließ. Mochte die Ausgangsfrage des vor 25 Jahren gegründeten Trägervereins noch gewesen sein, was aus den Idealen des Werkbunds und seiner Reform der Ästhektik des täglichen Bedarfs geworden war, so weitete sich das Programm bald zu einer Befragung des utopischen Potentials der Moderne aus. Die Entschlüsselung der Dinge bezog Architektur, Kunst und Werbung ebenso ein wie industrielle Produkte. Ethnologie und Soziologie, Ökonomie und Geschichte vermögen zwar deren Alltagsfunktion zu erschließen, aber erst wenn diese stillgelegt ist, wird jener sinnliche Überschuß der Dinge sichtbar, in dem die philosophischen Modelle der Zeit aufscheinen.
Die Erweiterung des Dingbegriffs
Über das Ethos der Produzenten, die Ideologien der Verkäufer und die Träume der Nutzer erzählt die vieltausendteilige Sammlung. Vor allem die Transparenz der Kriterien des Sammelns und Ordnens unterscheidet die Werkbund- Sammlung von anderen Museen.
Durch den Auszug des Jüdischen Museums wächst die Ausstellungsfläche auf 1.000 Quadratmeter und kann erstmals durch einen Rundgang erschlossen werden. Doch schon vor dem Wiedereinzug mit der Ausstellung „Ware Schönheit“ im Juni meldet sich das Museum mit einer Lichtskulptur von Hans J. Wiegner in der Öffentlichkeit zurück. Der Rot Block wird in der langen Nacht der Museen am 30. Januar vor dem Gropius-Bau zu leuchten beginnen. Als abstraktes Ding mit einer immateriellen Aura symbolisiert er den erweiterten Dingbegriff des Museums, das sich lapidar in „Museum der Dinge“ umbenannt hat.
Denn der alte Begriff „Alltagskultur“ faßte, wie Angelika Thiekötter erläuterte, das Konzept schon lange nicht mehr, gingen die Ausstellungsinszenierungen doch über eine soziologische Spurensuche weit hinaus. Die Betontung der „Dinge“ erhält ihren Sinn zudem vor dem Siegeszug der „Undinge“, wie der Philosoph Vilém Flusser Programme und Datenautobahnen nannte. Diesen Wandel von der Industrie- zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft will sich das Museum der Dinge zunutze machen, in dem es den Service der Medien einspannt. Damit wurde die Agentur Im Stall betraut, die ein neues Marketingkonzept für die Sammlung vorstellte. Dazu gehört die Präsenz im Internet mit wöchentlich neuen Seiten und ein eigener Museumsshop im Rotundenraum. Ein virtuelles Museum aber, hob Leiterin Thiekötter hervor, plane man nicht: Die haptische Erfahrung, der Besuch bleiben erstes Ziel. Nötig wird die verstärkte Öffentlichkeitsarbeit auch, weil das Museum der Dinge als einziger fester Nutzer in den Gropius-Bau zurückkehrt, während die Berlinische Galerie und das Jüdische Museum neue Domizile gefunden haben.
Eröffnung im Juni, zur Zeit nur im Internet erreichbar unter:
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen