: Streiten mit Hunden und Schweinen
■ Siegwart-Horst Günther, Professor für Infektionskrankheiten, glaubt, daß uranhaltige Geschosse verantwortlich sind für das sogenannte Golfkriegssyndrom
Bei irakischen Kinder nehmen Kinderlähmung und Tuberkulose sprunghaft zu. Etliche zu Skeletten abgemagerte Babys sterben sogar an harmlosen Masern. Die psychischen Kriegsschäden der Kinder sind noch immer exorbitant. Bei Gewitter verkriechen sie sich. Hypermotoriker werden gelegentlich mit einer Fußleine festgebunden. Psychopharmaka fehlen sowieso. Kinder streiten mit Hunden um die Resteverwertung anderer Leute Mülltonnen. Babys kommen selten mit mehr als 2,5 kg auf die Welt. Gab es vor dem Krieg 25 Totgeburten unter 1.000 Geburten, sind es heute 150. 6.000 Kinder unter fünf Jahren sterben jeden Monat.
Nüchtern summiert Siegwart-Horst Günther die Folgen von Krieg und Embargo im Irak. Zunächst. Dann schimpft er über die Beobachter der Vereinten Nationen. „Was ich hier gesehen habe, habe ich in Afrika noch nie gesehen. Und die UN interessiert das alles nicht. Abgestumpfte Bürokraten.“ Günther hat den Eindruck, daß der Handel „Nahrungsmittel für Öl“ nicht funktioniert. „Vor allem in der Peripherie gibt es nichts, keine Antibiotika.“ Der 73jährige ist Leiter der Hilfsorganisation Gelbes Kreuz International und hat gerade seine letzten Vorlesungen als Prof in Bagdad beendet. Bomben und Embargo zum Zwecke der Absetzung Saddams findet er schon allein deshalb absurd, weil er für die Zeit danach einen gewaltigen Bürgerkrieg prognostiziert.
Bei seiner Klinikarbeit ist Günther häufig bei irakischen Kindern auf die vieldiskutierten Golfkriegssymptome amerikanischer Soldaten gestoßen. Auf Dias zeigt er grotesk verstümmelte Gliedmaßen, zerfressene Gesichter und Bäuche, die durch eine aufgeschwemmte, funktionsunfähige Leber zu Luftballons aufgebläht sind. Bilder bei denen einem kotzübel wird.
Bei Erwachsenen stieß Günther auf aidsartige Symptome. Im März 1997 berichtete die taz über die mutmaßliche Ursache des Golfkriegsyndroms. Amerikanische Bomber hatten aus Versehen eine Produktionsstätte für chemische Kampfstoffe in Chamisiya in die Luft gejagt. Hat eben jemand die Bombardierungspläne durcheinandergebracht. Günther spekuliert auf eine andere Ursache der Mißbildungen. Im Golfkrieg kamen zum ersten Mal seit 1943 wieder DU(Depleted Uranium)-Geschosse zum Einsatz. Sie werden zwar nicht zu den Atomwaffen gezählt, setzen aber Radioaktivität frei. Zwischen 40 und 300 Tonnen sollen nach Schätzung der britischen Atomenergiebehörde vor allem für die Panzerabwehr eingesetzt worden sein. So recht genschädigend hielt sie wohl niemand.
Beim Versuch, diese Geschosse untersuchen zu lassen, wurde Günther in Deutschland verhaftet wegen „Freisetzung ionisierender Stoffe“. Jetzt steht er unter Polizeiaufsicht und darf sich zweimal die Woche im Polizeibüro von seinem Heimatort St. Peter Ording melden. Für die Verhaftung und erste Untersuchungen der Geschosse an der Berliner TU hat er Belege in seiner Aktentasche. Schließlich wird man heute allzuschnell als Spinner und Verschwörungstheoretiker abgekanzelt.
In der Märkischen Zeitung und lustigerweise sogar in der „Die Welt“ wurde jetzt über seine Theorie sehr gewissenhaft berichtet. Doch sechs Jahre lang wurde er von der Presse ignoriert. Die Veranstalter des Vortrags vom Arbeitskreis Süd-Nord machten dafür natürlich gleich den industriellen-militärisch-journalistischen Komplex verantwortlich. Aber vielleicht gibt es einen anderen Grund, warum soviel einstimmiger Mist zu lesen ist, und soviel wichtiges fehlt: Es ist viel weniger peinlich, sich brüderlich in einer Reihe mit anderen zu irren, als sich alleine vorzuwagen und am Ende als Depp dazustehen. Erstaunlich ist es aber schon, wenn Günther seit sechs Jahren predigt, daß hochgiftiges Teufelszeug auf irakischen Äckern herumliegt – und kein Schwein dem nachgeht und beweist, daß er spinnt oder eben Recht hat. Drei Mordanschläge auf sich will er übrigens erkannt haben. Auszuschließen ist das nicht. bk
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