Sozial? Unsozial? Der Bahn egal!

■ Am Montag steht ein Verkäufer des Obdachlosenmagazins "Strassenzeitung" vor Gericht. Gegen ihn erstattete der Wachschutz am Bahnhof Zoo 49 Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs. PDS fordert Aufhebung des Verka

Auch der Verkauf einer Zeitung kann strafbar sein. Erstmalig wird deshalb am kommenden Montag ein Verkäufer des Obdachlosenmagazins Strassenzeitung vor dem Amtsgericht Tiergarten stehen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Hausfriedensbruch in 49 Fällen vor.

Vor zwei Jahren hatte Konrad G. an den Fernbahnsteigen des Bahnhofs Zoologischer Garten mit dem Verkauf der Strassenzeitung, damals Strassenfeger, begonnen. Die rund 30 Wachschützer der Bahnschutzgesellschaft, so berichtet Konrad G., hätten seine Tätigkeit zunächst toleriert.

Mit dem Selbsthilfeprojekt Strassenzeitung, die in den Zügen der BVG und der S-Bahn verkauft wird und in einer Auflage von 28.000 Exemplaren erscheint, verdienen sich rund 80 Obdachlose ihren Lebensunterhalt. Doch für Konrad G. war der Verkauf schnell mit Problemen verbunden. Eine Gruppe von Wachschützern habe ihm im Mai 1997 ein einjähriges Bahnhofsverbot erteilt. Als sich der Obdachlose trotzdem nicht vom Verkauf abhalten ließ, handelte er sich seine erste Anzeige ein. Die anderen 48 folgten. „Die haben ihn teilweise im Fünf-Minuten-Takt angezeigt“, bestätigt auch Stefan Schneider, Vorsitzender des Vereins Mob e.V., dem Trägerverein der Zeitung.

Schneider sieht in dem Prozeß einen gefährlichen Präzedenzfall mit Ausstrahlungskraft. Sollte G. verurteilt werden, könnte damit das Aus für das Selbsthilfeprojekt besiegelt sein, weil Verkäufer auch von anderen Orten vertrieben würden, fürchtet der Mob- Chef .

Die Anklage der Staatsanwaltschaft sei absurd, so Schneider, denn man könne nicht das Verkaufen einer Zeitung als Hausfriedensbruch definieren. Von einer Belästigung der Fahrgäste könne keine Rede sein. G. habe wegen seiner freundlichen Erscheinung sogar Stammkunden unter den Dauerreisenden gehabt. Er sei weder Junkie noch Alkoholiker.

Marlene Schwarz, Pressesprecherin der Deutschen Bahn AG, zeigt für die Zeitungsverkäufer trotzdem kein Verständnis: „Fliegender Handel ist im Bahnhof nicht gestattet.“ Schwarz weiter: „Wir tun doch sehr viel für die Obdachlosen.“ Auch Klaus Wazlak, Pressesprecher der BVG, meint: „Ob es sich um ein soziales Projekt handelt oder nicht, ist uns egal.“ Eine Ausnahme vom Verkaufsverbot sei eben nur für Kioske möglich. Eine Strafanzeige sei aber nicht die Regel, so Wazlak.

Welches Urteil Konrad G. zu erwarten hat, ist nicht absehbar. Bisherige Anzeigen seien stets wegen Geringfügigkeit eingestellt worden, sagt Angeklagter G. hoffnungsvoll. Eine Haftstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe – dazwischen könnte sich das Urteil bewegen, weiß Justizpressesprecher Matthias Rebentisch.

Der PDS-Abgeordnete Freke Over forderte den Senat am Freitag auf, sich für die Aufhebung des Verkaufsverbotes in privatisierten öffentlichen Räumen einzusetzen. Die Deutsche Bahn AG solle die Anzeige zurückziehen und mit den Obdachlosen endlich über Modalitäten des Verkaufs verhandeln. Andreas Spannbauer