piwik no script img

Die Jubler

Eckfahnen-Begattungstanz, die Thuram-Statue und der Triumphator auf der Latte: Der Hamburger Wolfgang Strack erforscht die Kultur des Siegergestus im Fußball  ■ Von Patrick Brandenburg

„Entscheidend is aufm Platz“, sagte schon vor 30 Jahren Borussia Dortmunds Fußball-Philosoph Hoppy Kurrat. Und dort wird nicht nur gekickt, sondern auch gejubelt. Nicht unbedingt häufiger als früher, aber inszenierter. Doch bisher wurden die Aktionen zwischen den Zeitpunkten „Rundes gelangt in Eckiges“ und Wiederanstoß eher beiläufig zur Kenntnis genommen.

Der Hamburger Künstler Wolfgang Strack dürfte der erste Jubelforscher der Republik sein, der sich diesem „blind spot“ im Sportgeschehen auf wissenschaftlicher Ebene nähert. Seit mehreren Jahren sammelt, kategorisiert und analysiert er verschiedene Formen und Ausdrucksweisen beim Torjubel, beobachtet Tendenzen und prognostiziert Jubelzukunft.

„Ausgangspunkt der modernen Jubelkultur ist der Eckfahnen-Begattungstanz des Kameruners Roger Milla bei der Weltmeisterschaft 1990 in Italien“, so der studierte Kunsthistoriker. Der Lambada an der Fahne des Fußball-Seniors ging um die Welt und inspirierte nachfolgende Jubelgenerationen. Beispiele von sehenswertem, kreativem Jubel jenseits des Klassikers Arme-Hochreißen gibt es auch vor diesem sportästhetischen Schlüsselerlebnis, sie sind aber eher selten. Pelé wußte bereits 1958 spektakulär zu jubeln. Und Mitte der Achtziger beeindruckte der Mexikaner Hugo Sanchez nicht nur durch Spucken und Kratzen, sondern auch durch Tore und den anschließenden Sanchez-Salto.

Daß die Entwicklung zum kreativen Jubeln seit 1990 verstärkt in Fahrt kommt, hat für den freischaffenden Künstler Strack mehrere Gründe: „Die Spieler müssen sich im modernen Fußball in ein immer engeres taktisches Konzept einfügen, bei dem die Effektivität über allem steht.“ Dies geschieht teilweise bis zur Selbstverleugnung – der Star ist die Mannschaft. Wenn das Spiel bis hin zu den Laufwegen festgelegt ist, bleibt für die Sportler wenig Platz, ihre Persönlichkeit einzubringen.

Parallel dazu wächst mit der Ausweitung des Showbusines Fußball auch die Zahl der Kameras und Photoapparate, die auf potentielle Sporthelden gerichtet sind. Beim Torerfolg kann sich der Torschütze nahezu ungeteilter Aufmerksamkeit der Mitspieler, der Zuschauer und der Medien sicher sein. Vor allem die elektronischen Aufzeichnungsgeräte fokussieren den Erfolgsbringer, auch „weil das Bild vom Sieger in ganz besonderem Maße zur Leistungsgesellschaft paßt, gewünscht wird und entsprechende Chancen zur verstärkten Verbreitung hat.“

In der Zeit bis zum Wiederanpfiff kann der Schütze sich „durch eine gelungene Darbietung den Wunsch nach Bildverewigung erfüllen“. Setzt er der „Kollektivierung des Spielgeschehens die Individualisierung des Jubels entgegen“, winkt der Eintrag in die Sportgeschichtsbücher. So hat das imaginäre Wiegen seines Kindes bei der WM 1990 in den USA den Brasilianer Bebeto nachhaltig im Gedächtnis der Fußball-Weltgemeinde verankert.

Förmlich in ein Stück Erinnerungskultur geronnen ist der Jubel des französischen Verteidigers Lilian Thuram, dessen „Mischung aus Buddha und Denkerpose“ im Halbfinale gegen Kroatien bei der Weltmeisterschaft im vorigen Jahr von einem Künstler zur Statue verewigt wurde. Und der Däne Brian Laudrup hat mit der Model-Pose, lässig am Boden liegend, die Beine übereinandergeschlagen und den Kopf auf dem Arm aufgestützt, nicht nur die Laufstegtheorie explizit vorgeführt, sondern auch seine Popularität vergrößert.

Selbst verbale Varianten, den Torerfolg zur Kommunikation mit der Öffentlichkeit und Geschichte zu nutzen, sind in Mode, in Deutschland spätestens seit dem Gruß an „Jule“ auf dem Trikot eines Spielers aus Cottbus. Dem Darsteller sind in seiner Jubelchoreographie nur wenige Grenzen gesetzt, wenn auch ein Trend zur Zensur in zeitlicher und inhaltlicher Sicht durchaus feststellbar ist. Für Jubelüberlänge gibt es die Gelbe Karte; der von Bayern zum AC Mailand gewechselte Christian Ziege wurde kürzlich wegen Trikot-Exhibitionismus sogar vom Platz gestellt.

Natürlich ist auch im Fußball nicht alles individuell. Auch hier wird geklaut, oder, frei nach Tarantino, „Jubel zitiert“. Schließlich sind nicht alle Fußballer jubeltechnisch gleich begabt, und der Ausbildungsgang zum Jubeldesigner ist noch nicht geschaffen. Den 42jährigen Hamburger interessieren aber in erster Linie nicht die Epigonen, sondern die „Gesten mit Urheberrecht“, es sei denn, die Kopie erfolgt als Karikatur. Diese „höchste Stufe der Ehrbezeugung“ war die Lambada-Interpretation durch den eher hölzernen Toni Polster, mit der der damalige Kölner den Kameruner Gesten-Schöpfer ehrte und sich gleichzeitig selbstironisch gab. Über dieser Form der Anerkennung steht für Strack dann nur noch die begriffliche Personalisierung einer Jubeldarstellung, „mit der sich der Sieger endgültig verewigt“. Jenseits der nicht im Baumarkt erhältlichen Kuntz-Säge ist diese Form im deutschen Fußball aber noch selten.

Strack, der bereits 1992 mit der Ausstellung seiner Dissertation auf der documenta IX in Kassel auf sich aufmerksam machte, ist über Gespräche mit seinem Doktorvater an dieses Thema gekommen. Bei Unterhaltungen über Fußball haben die beiden festgestellt, daß sie sich doch eigentlich über Kunst unterhalten. Die Verbindung von Sport und Ästhetik, in diesem Fall einer Jubel-Ikonographie, erschien daher ganz natürlich. Deswegen denkt Strack schon an eine institutionalisierte Verortung seiner Forschung im Wissenschaftsbetrieb: „In Brasilien kann man Fußballsoziologie studieren, warum sollte Hamburg nicht einen Lehrstuhl für Fußballästhetik einrichten.“

Das Ende der Jubelgeschichte prophezeit Strack jetzt schon: Der „ultimative Jubel“ bestehe darin, daß sich der Schütze auf die Torlatte emporschwingt und dort aufgerichtet und erhaben über allen anderen in der Geste des Triumphators verharrt. „Wer das macht, hat einen Eintrag im Geschichtsbuch sicher. Das wird kommen, auf jeden Fall. Und das wird nicht mehr zu überbieten sein.“

Kommende Fußball-Philosophen werden dann vielleicht mal sagen: „Entscheidend war aufm Tor.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen