: Beispiel nehmen! Von Joachim Schulz
Allein aus medizinischen und sozialen Gründen ist es empfehlenswert, Sonne im Herzen zu haben. „Ha!“ mache ich und „Hu!“ – doch selbstverständlich nützen mir die aufs äußerste verkürzten Beschwörungsformeln überhaupt nichts: Zu dünn ist das Geschirrhandtuch, zu heiß die Auflaufform, zu weit der Weg zum Küchentisch. „Watsch!“ macht das leckere Spinatsoufflé mit Schellfisch, als es wenige Zehntelsekunden später auf dem Küchenboden aufschlägt, und schon bediene ich mich nach Kräften aus meinem Fluchwortschatz und tanze wie ein professioneller Rumpelstilz um das Resultat des verheerenden Souffléabsturzes herum.
Wie zu erwarten, ruft das Getöse die Liebste auf den Plan. „Auweia!“, sagt sie, während ich dazu übergegangen bin, mit beiden Fäusten auf meine Schädeldecke einzutrommeln, und fügt mit Telefonseelsorgerstimme hinzu: „Na, komm schon, nützt doch nichts.“ Weil ich jedoch in einer solchen Situation über keinerlei Gehirnfunktion mehr verfüge, führt das nur dazu, daß ich jetzt sie mit einer abenteuerlichen Beweiskette für das Desaster verantwortlich zu machen versuche. Nur kurze Zeit später jedenfalls knallt sie die Wohnungstür wütend von außen zu – und was bedeutet das? Ganz recht: Daß niemand mehr da ist, der Hilfe rufen könnte, wenn ich mir wegen des mißlungenen Soufflétransports einen Herzinfarkt einhandele.
„Du mußt dir ein Beispiel nehmen an Ladislaus“, denke ich deshalb, als ich mich wieder beruhigt habe. Der Mann wird schließlich nicht umsonst von allen Lucky gerufen. Er hat soviel Sonne im Herzen, daß manchmal sein ganzer Brustkorb zu schimmern scheint. „Hey!“, sagt Lucky, als wir uns auf der Straße treffen. „Lange nicht gesehen! Laß uns einen Kaffee trinken, komm mit!“ Schon hat er mich untergehakt, schon stapfen wir die Treppe zu seiner Kemenate hinauf.
Bereits die offene Wohnungstür aber läßt nichts Gutes ahnen. Tatsächlich müssen wir denn auch wenige Schritte später aus dem erbarmungswürdigen Chaos von umgestürzten Bücherregalen und rabiat entleerten Schränken schließen, daß Luckies Heim entweder von einem lokal begrenzten Erdbeben oder einem Einbrecher heimgesucht worden ist. Doch rauft er sich deswegen die spärlichen Reste des Haupthaars aus? Rumpelt er wie eine überhitzte Dampfturbine durchs Zimmer? Mitnichten. „Joijoijoi“, seufzt er statt dessen nur kurz, um dann fortzufahren: „Vielleicht sollten wir unseren Kaffee in Anbetracht dieses ungemütlichen Tohuwabohus besser unten in ,Gittas Bistro‘ trinken – wir dürfen hier ja sowieso nichts anfassen, bevor Derrick mit der Spurensicherung da war.“
„Beispiel nehmen!“, murmele ich deshalb, als sich beim Gießen der Kletterfeige mal wieder die Verankerung der Blumenampel aus der Decke löst. „Beispiel nehmen!“, sage ich, als ich mich dem Matschhaufen aus Erde, Scherben und Kletterbotanik mit Kehrschaufel und Besen nähere. Und „Beispiel nehmen!“ rufe ich auch der Liebsten zu, als wir entdecken, daß sich ihr heißgeliebter Hamster im Augenblick des Malheurs genau zwischen Blumenampel und Kachelfußboden befand. Denn schließlich macht ihr „Mörder! Mörder!“-Geschrei den kleinen Nager auch nicht wieder lebendig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen