: Der Schmugglerkrieg im Ionischen Meer
Der Motor ist ausgeschaltet, das Schmugglerschiff wartet vorsichtig ab. Plötzlich kommt Bewegung in die Schiffe zwischen albanischer und italienischer Küste. Vom Krieg zwischen Menschen- und Zigarettenhändlern auf See ■ Von Werner Raith
Feldwebel Romoletto setzt das Nachtsichtgerät ab, dreht ein wenig an der Einstellung, läßt sich vom Radaringenieur des knapp hinter unserem Fischkutter liegenden Zollboots ein paar Daten geben, hebt seinen Apparat wieder vor die Augen. „Ich hab ihn im Visier“, sagt er. Dann, nach einer Pause: „Er mich aber auch.“
Pippone, der Zweite Kommandant des Kutters, ein ehemaliger Schmuggler und inzwischen halbamtlicher Mitarbeiter der Küstenwache, schüttelt den Kopf: „Seid leise, verdammt“, brummt er mit so unterdrückter Stimme, als wären die Akustiklauscher eines U-Bootes zu gewärtigen – obwohl das Objekt der Ausspähung sicher gut acht Seemeilen vom Küstenboot entfernt liegt, auf halber Strecke zwischen Bari und Brindisi. „Ein Zigarettenschmuggler“, urteilt er, „kein Flüchtlingsschiff – die würden sofort abhauen. Der da wartet genauso auf uns wie wir auf ihn.“
Auch „der da“ hat seine Motoren ausgeschaltet, läßt uns nicht aus den Augen. „Man belauert sich wie im Krieg“, sagt Feldwebel Romoletto: auf der einen Seite die Küstenwächter und die Militärs, auf der anderen Seite die Schmuggler und die Menschenschieber. Jeder steht unter Hochspannung, jede noch so kleine Bewegung der Gegenseite wird beantwortet. „Dreht der ab, sausen wir hinterher“, sagt der Kommandant. „Aber umgekehrt: Kaum lassen wir die Motoren an, flutscht er uns weg. Er hat zuviel Vorsprung.“
So warten die Küstenschützer, daß sich von drei Seiten weitere Zollboote heranpirschen, „im Schneckentempo“, geschützt am besten durch Fährboote oder Frachter wie den unseren, um den Lärm der superpotenten Motoren zu überdecken. „Doch meist merken die was, bevor sich der Ring schließt“, sagt Romoletto. „Denn die sehen uns nicht mehr nur per Nachtsichtgerät. Die sind schon viel weiter.“
Tatsächlich ist die Aufrüstung in vollem Gange: „Kein Gerät, das wir neu kriegen, bleibt denen verborgen. Und manchmal haben sie es sogar schon früher als wir“, klagt der Kommandant. Neueste Entdeckung der Ermittler: Die Schmuggler stützen sich nicht mehr nur auf modernes Handwerkszeug wie Nachtsichtgeräte und Schallspione, sondern auf eigene Radareinrichtungen und sogar Satelliteninformationen. „Woher das alles kommt, kann man sich denken“, sagt Feldwebel Romoletto: „Seit der Auflösung des Ostblocks wimmelt es auch hier bei uns von sowjetischen, tschechischen, polnischen Aufklärungsinstrumenten.“
Mitte Januar wurde bei Bari eine Dreimeter-Radaranlage auf dem Dach eines Hochhauses entdeckt. In der bei der Kontrolle ansonsten leergeräumten Wohnung fanden die Ermittler Spuren von Decodereinrichtungen für verschlüsselte Positionsangaben der Schiffe im unteren Adriatischen Meer, ja sogar geheime Daten der UNO-Friedenstruppen auf dem Balkan, die auch die Ostseite des italienischen Stiefels abdecken.
Doch die Hauptsorge gilt in diesen Nächten nicht unbedingt den Zigaretten-Schmuggelpartien, obwohl ein einziges der meist an die zwanzig Meter langen Boote Waren im Wert von bis zu einer Million Mark transportieren kann. Die Grenzwächter haben vielmehr die Aufgabe, sich zwischen zwei Gruppen von Delinquenten zu stellen, die immer häufiger aneinander geraten: die Menschenschieber und die Tabakschmuggler. Denn während die illegalen Tabakeinführer seit Kriegsende vor den apulischen Küsten eine relativ ruhige Kugel schoben, gedeckt meist durch nachlässige oder gekaufte Grenzbeamte und Zöllner, handelt es sich bei den Menschenschiebern meist um albanische Gruppen, die „mit einer bisher ungekannten Brutalität vorgehen und keinerlei Respekt vor Abmachungen und Regeln zeigen“, wie Exschmuggler Pippone vermerkt.
Eigentlich sich hatten sich die Tabak- und die Menschenschmuggler Mitte der neunziger Jahre auf klar umschriebene „Korridore“ geeinigt, damit die eine Gruppe bei staatlicher Repression nicht eine Heckwelle von Polizeischiffen hinter sich herzieht und die andere Gruppe damit auch beeinträchtigt. Den albanischen Menschenschmugglern, die meist von Vlora aus starten, waren Routen in direkter Linie bis zum Küstenstreifen zwischen Brindisi und Otranto am „Stiefelabsatz“ Italiens zugestanden worden. Die Tabak- und Heroinschmuggler dagegen fuhren vom wesentlich weiter im Norden gelegenen montenegrischen Bar los und konnten meist unbeschadet in der Gegend nördlich von Bari landen.
Doch als sich der Exodus der Albaner in der zweiten Hälfte 1998 wieder verstärkte und zudem vermehrt Flüchtlinge aus dem Kosovo, aber auch zahlreiche Kurden die albanischen Schieber um Passagen angingen, verstärkte der italienische Staat seine Abwehr vor dem südlichsten Teil des Adriatischen Meers. Mit der Folge, daß die oft überfüllten Schlauchboote aus Albanien andere Routen nahmen und oft weit im Norden landeten. Die Häscher sausten hinterher – und brachten dabei so manchen Tabakschmuggler auf, der gemütlich übergesetzt hatte.
„Da gab zunächst Verwarnungen“, erinnert sich Pippone, „dann beschwerten sich die Schmuggler bei den obersten Bossen an Land, und dann begann es auch schon zu knallen.“ Die Bosse nämlich waren gefürchtete Oberhäupter der apulischen Mafia, die sich dort „Sacra Corona Unita“ (Vereinigte Heilige Krone) nennt und die, weil jünger und schwächer als die große Mafia Siziliens und die Camorra Neapels, ihre Machtlegitimation immer wieder aufs Neue beweisen muß.
Und so griffen sich Schmuggler schon mal die Bootsführer von Gummischnellbooten der Menschenschieber und vermöbelten sie kräftig – „bisher allerdings nur, wenn sie schon ,entladen‘ hatten“, meint Pippone, „wenn die Flüchtlinge schon raus waren und man sich sozusagen Mann gegen Mann stellen konnte“.
Feldwebel Romoletto ist nicht so ganz überzeugt von der relativen „Friedfertigkeit“ solcher Aktionen: „Es gibt einige Hinweise, daß die auch vollbesetzte Asylantenboote gerammt haben“, sagt er. „Und wir wissen bis heute nicht, ob einige der immer mal wieder angeschwemmten Leichen nicht doch aus einem solchen Scharmützel stammen“.
Wie auch immer: Die „Verwarnung“ seitens der italienischen Bosse ist ernst gemeint. „Die sollen ihre Routen einhalten“, ließ unlängst ein Schmuggler in der italienischen Tageszeitung la Repubblica vernehmen, „sonst übernehmen wir keine Garantie mehr.“ Tatsache ist, so der Kommandant des Küstenschutzschiffes neben uns, daß „sich die Menschenschmuggler mehr vor den Tabakleuten fürchten als vor uns“. Kunststück, bei der Gefahr versenkt zu werden.
Der Schmuggler in unserem Blickfeld hat unvermittelt seine Motoren angeworfen. Auch das Patrouillenschiff hinter uns geht sofort auf volle Fahrt; so knapp saust es um uns herum, daß einige von uns von seiner Bugwelle umgeworfen werden. Wir beobachten die Aktion von unserem Kutter aus, doch das verdächtigte Schiff gerät schnell aus unserem Blickfeld. Wir erkennen lediglich noch, daß sich von Osten her ein zweites, dann ein drittes Polizeiboot nähert.
Den Rest hören wir über Funk: Das Schiff wurde gestoppt, ein paar Zentner Zigaretten seien an Bord, wie der einsatzleitende Kommandant herüberfunkt. Nichts Aufregendes also. Im Hintergrund hört man denn auch heftiges Geschrei, bei dem man gut mitkriegen kann, wie der festgesetzte Kapitän auf die Albaner schimpft, denen er seine Entdeckung anlastet – „greift euch diese Barbaren und nicht uns, die wir unseren Landsleuten nur ein harmloses Vergnügen zu vernünftigen Preisen verschaffen“. Pippone nickt, sagt aber nichts. Er weiß, daß er mit den Zöllnern darüber nicht gut diskutieren kann.
Dennoch: Wenige Minuten später hören wir über Funk von der Alarmstufe eins. Nur eines der Schnellboote bleibt bei dem Tabakschmuggler, so die Order aus der Einsatzzentrale in Brindisi. Die anderen brausen los, Richtung Süden. Pippone vermutet, daß der Tabakschmuggler, um seine Verhandlungsposition vor Gericht von Anfang an zu stärken, ein paar Angaben gemacht hat, wo er bei seiner Fahrt Menschenschieber entdeckt hat.
Er hat sich nicht geirrt: Als wir im Morgengrauen im Hafen von Brindisi wieder festmachen, werden am Horizont gerade zwei der Polizeischnellboote sichtbar – dazwischen, in langsamer Fahrt, ein Schlauchboot. Darauf Menschen, dicht an dicht, sicher zwei Dutzend, in einem Gefährt, das offiziell höchstens acht Personen befördern dürfte.
Warum das Boot von gleich zwei Grenzschutzschiffen eskortiert und sofort in einen abgesperrten Teil des Hafens bugsiert wird, obwohl die Bootsführer sicherlich bereits in Handschellen in der Arrestkabine sitzen, erfahren wir später: Das Schlauchboot sei ein Beweis für weitere „Aufrüstung“: Es hat hinten und an den hinteren Seitenteilen einen Glasaufbau, von dem die Polizisten annehmen, er sei aus schußsicherem Glas – gerade so weit, daß der Bootsführer vor gegnerischen Kugeln gesichert ist, nicht aber die Menge der Flüchtlinge. „Die wollen diese armen Leutchen als Schutzschild benutzen“, urteilt Romoletto, „und im Zweifelsfalle die Schmuggler oder auch die Polizei zwingen, entweder in die Menge zu ballern, den ungeschützten Schlauchteil anzuschießen und das Boot zu versenken – oder die Ladung einfach bis zum Strand passieren zu lassen, wo sie dann zumindest das Asylbewerbungsverfahren abwarten können.“
Das gepanzerte Gummiboot wird wahrscheinlich auf Dauer beschlagnahmt und kommt ins „Arsenal“, wo sich bereits ansehnliche Mengen anderer Spezialwerkzeuge der Schmuggler und der Menschenhändler befinden, auch zahlreiche Gefährte für die Straße: so etwa durch Stahlplatten hinter den Hinterrädern aufgemotzte Geländewagen, die Schußtreffer in die Reifen verhindern; seitlich ausfahrbare Sporne, mit denen man überholende Polizeifahrzeuge in den Graben bugsieren kann, ohne das eigene Fahrzeug zu gefährden; oder auch mit ganz einfachen Mitteln manipulierte Fahrzeuge, bei denen die Bremslichter abgeschaltet wurden – bremst so ein Wagen aus voller Fahrt, prallen die verfolgenden Fahrzeuge meist auf, und da genügt dann schon die Anhängerkupplung, um den Kühler des Verfolgers zu zertrümmern. „Sie sehen, die Kreativität kennt keine Grenzen“, sagt Romoletto.
Wenig später kommen zwei neue Nachrichten: Während die vier Schnellboote das eine Schlauchboot aufgebracht haben, sind den Grenzwächtern offenbar mindestens drei weitere durch die Lappen gegangen – zwei davon wurden in Strandnähe weit im Norden, also nahe der Zigaretten- Route, verlassen gefunden. Der Motor war von beiden abmontiert worden und wohl mit dem dritten Boot bereits auf dem Heimweg – da wurde es, wenn die Radarbilder nicht trügen, von einem weiteren nicht identifizierten Fahrzeug angegriffen und ist seither verschwunden.
Doch die zweite Nachricht überschattet schnell die erste: In Vlora, dem Ausgangspunkt der meisten Flüchtlingsschiffe, hat sich die Polizei aufgerafft und einfach mal alle gerade an den Stränden liegenden verdächtigen Schlauchboote beschlagnahmt. Wenige Stunden später griffen sich die Menschenschieber den Polizeikommandanten der Stadt – und lieferten ihn erst wieder aus, als die Boote wieder herausgegeben worden waren.
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