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Euro-Master leichtgemacht

Dank einer europäischen Notenumrechnung kann ein Studium quer über den Kontinent zum Diplom führen. Erhöhter Konkurrenzdruck unter Studis  ■ Aus Münster Kristine Schmidt

Ein Jahr verbrachte Bianca D. an der Universität von Dublin. Als sie aus Irland mit ihren Seminar- Scheinen an die Westfälische Wilhelmsuniversität nach Münster zurückkommt, erlebt die Geschichtsstudentin eine böse Überraschung: Die ausländischen Studienleistungen werden ihr nicht angerechnet: Irische Geschichte paßt angeblich nicht in den heimischen Lehrplan. Das Auslandsjahr umsonst – bis 1995 war das Alltag.

Im Jahr 1999 kann Auslandsstudium so aussehen: Heiner V. erhält für ein Irland-Jahr an seiner Heimatuni Bielefeld zwei Hauptseminarsscheine – also das, was er in der gleichen Zeit auch daheim erreicht hätte. „Ist ganz gut gelaufen“, freut sich der Jung-Historiker. Der Schlüssel zum Erfolg von Heiner V. heißt ECTS oder European Credit Transfer System. Das ist ein von der EU erdachtes zentrales Umrechnungssystem für Noten, die Studis im Ausland erwerben.

Der „Credit“ ist der „Euro“ der europäischen Zeugnisse. Er soll Studierenden den Hochschulwechsel innerhalb Europas erleichtern. Und sicherstellen, daß Wanderstudiosi die auswärts erworbenen Kenntnisse und Noten in der Heimat angerechnet bekommen. Bisher scheitert die Anerkennung weniger am bösen Willen der Professoren als an der Schwierigkeit, fremde Studieninhalte kompatibel umrechnen zu können.

Die akademische Zweitwährung boomt. Standen die deutschen Unis dem System in seiner Pilotphase in den Studienjahren 1989/90 bis 1996/97 noch skeptisch gegenüber, haben heute bereits 179 der über 300 deutschen Hochschulen ECTS eingeführt. „Sensationell“ nennt Siegbert Wuttig vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) den Erfolg – und prophezeit eine „explosionsartige Entwicklung in Deutschland und Europa“.

Beschleunigt wird der Uni-Euro durch zwei Faktoren: Das neue Hochschulrahmengesetz trägt den deutschen Unis auf, das Kreditsystem einzuführen. Und ohnehin sehen sich die Hochschulen dem Druck der europäischen Konkurrenz ausgesetzt: „Ausländische Hochschulen setzen bei einer Kooperation immer häufiger die Einführung von ECTS voraus“, sagt Wuttig. Ein Prozeß, den der Akademische Auslandsdienst vorantreibt, indem er nur noch Universitäten fördert, die den europäischen Notentransfer oder ein anderes Kreditsystem einführen.

„Ein Jahr Auslandsaufenthalt kann nun auch als ein Jahr an der Heimathochschule angerechnet werden“, zieht der Historiker Neithart Bulst Bilanz. Bulst, der bereits seit zehn Jahren an der Uni Bielefeld mit dem System arbeitet, räumt allerdings ein: „Das Programm kann nur funktionieren, wenn es intensiv betreut wird.“ Soll heißen: Um ECTS erfolgreich einsetzen zu können, bedarf es erfahrener Betreuer und Koordinatoren, die mit den StudentInnen die Studienabkommen aushandeln. Die EU hat die Mittel für die ECTS-Förderung indes in den letzten Jahren stark zurückgefahren. Waren für die Einführung pro Studienfach erst 650 Mark monatlich versprochen, sind die Mittel heute auf unter 300 Mark gesunken.

ECTS, da sind sich die jeweiligen Universiäten dennoch sicher, bietet viele Vorteile. Die Studis können die Leistungsanforderungen der ausländischen Hochschulen besser einschätzen. Die universale Anwendbarkeit schafft zudem Anreize, nach dem Gastaufenthalt gar nicht an die Heimatuni zurückzukehren, sondern das Studium im Ausland zu beenden: Ein Studium in München und Rotterdam könnte also bald in Bologna abgeschlossen werden – weil die beteiligten ECTS-Unis mit Hilfe der quer über den Kontinent gesammelten Anrechnungspunkte/studiebelastingpunten/crediti alle Scheine anerkennen.

Der praktische Umgang mit der akademischen Zweitwährung ist weniger simpel, als es zunächst aussieht. Für Verwirrung bei den Studis sorgt etwa die Tatsache, daß jede Uni die Anzahl von Punkten, die sie für die einzelnen Lehrangebote vergibt, selbst bestimmen darf. So kann es an einer deutschen Uni für ein Proseminar sechs, an einer anderen hierzulande nur vier Kreditpunkte geben – obwohl das Seminar vergleichbar ist. Das System europäischer Noten-Transparenz wird so innerhalb der nationalen Staatsgrenzen eingetrübt.

Seltsam mutet für deutsche Studis auch der Aufbau der ECTS-Benotung an: Die Bestnote A wird automatisch an die besten zehn Prozent eines Kurses vergeben – aber mehr als diese können gar keine Eins erwerben. Das System fördert so die Konkurrenz unter den StudentInnen: Wer die Bestnote haben will, dem kann die Leistung der KommilitonInnen nun nicht mehr egal sein, da nur ein kleiner Teil eines Kurses das Maximum erreichen kann.

Und auch mit ECTS gibt es keine letztgültige Garantie, daß ausländische Scheine stets korrekt angerechnet werden. Trotz offizieller Umrechnungstabelle bleiben den Dozenten bei der „Übersetzung“ der ECTS-Noten nämlich Spielräume. „Ich bin gut mit ECTS gefahren“, sagt Peter H., der bei seiner Rückkehr aus Schweden an die TU Braunschweig Glück hatte: Der zuständige Professor rechnete ihm jeweils die bestmögliche Note an. Der Professor hätte Peters Kurse ebensogut eine halbe Note schlechter einstufen können.

Für den überzeugten ECTSler Neithart Bulst aus Bielefeld ist das kein Nachteil. Das Geschäft der korrekten Umrechnung der Punkte funktioniert wie eh und je: Zum Notengeben gehört „Fingerspitzengefühl“. Das ändert sich erst mal nicht im europäischen Uni-Dschungel.

Infos bei den Akademischen Auslandsämtern der Unis oder arbeitsstelle.eu@daad.de

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