■ Lafontaine interpretiert erstmals den Jahreswirtschaftsbericht
: Die Deutungsmacht

Als erster Finanzminister konnte Oskar Lafontaine gestern den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vorstellen. In den vergangenen Jahrzehnten war das Aufgabe des Wirtschaftsministers. Das Papier ist also politisch bedeutsam, und deswegen hatte Lafontaine im Zuge der Koalitionsverhandlungen so lange herumgebenzt, bis Gerhard Schröder ihm die Grundsatzabteilung für Erstellung des Jahreswirtschaftsberichts zugewiesen hatte.

An der Qualität oder Richtigkeit der Prognose ändert es zunächst einmal nichts, in welchem Haus die Beamten sitzen. Folgen sie doch in ihrem Bericht den Zahlen des Rates der Fünf Weisen. Allein die Deutung verleiht dem Papier seine wahre Bedeutung. Das hat Lafontaine kräftig genutzt.

Die wirtschaftliche Kräftigung soll aus dem Inland kommen. Da der Export als Folge der weltweiten Krisen zurückgegangen sei und auch weiter dadurch gedämpft werde, müsse die Wirtschaftsleistung zur Stärkung der Konjunktur im Inland erbracht werden. Die 80 Millionen Einwohner des Landes sollen die Konjunktur stützen.

Da ist sie wieder, Lafontaines Nachfragetheorie. Der Finanzminister wird nicht müde, zu wiederholen, daß die Bürger mehr Geld in die Tasche bekommen müssen, um die Wirtschaft in Gang zu halten.

Gegen mehr Geld ist nichts einzuwenden. Doch das Argument ist unhaltbar. Denn die Menschen geben ihr Geld in erster Linie für Konsumgüter aus. Waren also, die Deutschland zu einem großen Teil importiert. Die stille Reserve von Lafontaine stützt also vielleicht den Groß- und Einzelhandel, nicht aber die Industrie, die in erster Linie die Konjunktur zum Laufen bringt. Wenn aus dem Inland im vergangenen Jahr überhaupt Konjunkturimpulse gekommen sind, dann kamen sie aus den Unternehmensetagen. Erstmals sind im vergangenen Jahr die Investitionen für Maschinen, Anlagen und Gebäude wieder gestiegen. In diesem Jahr werden nach Aussage von Wirtschaftsforschern die Unternehmen weiter investieren.

Um seine Prognose halten zu können, wird Lafontaine sich also auf seine Ressortkompetenzen besinnen müssen: die Unternehmensbesteuerung zu senken. Denn nur wenn die Unternehmen weniger und einfacher Steuern zahlen, werden sie zu weiteren Investitionen animiert. Und dann stellen sie auch wieder Menschen ein, die die Binnennachfrage stützen können. Theoretisch ist das Angebotspolitik. Sie hat sich trotz aller gegenteiligen Beteuerungen aus dem Hause Lafontaine bewährt. Ulrike Fokken