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„Dieser Song gehört uns!“

■ Kanak Attak: Ein Manifest gegen Mültükültüralizm, gegen demokratische und hybride Deutsche sowie konformistische Migranten

Kanak Attak ist ein Zusammenschluß von Leuten über die Grenzen zugeschriebener, quasi mit in die Wiege gelegter „Identitäten“ hinweg. Kanak Attak fragt nicht nach dem Paß oder nach der Herkunft, sondern wendet sich gegen die Frage nach dem Paß und der Herkunft.

Unser gemeinsamer Nenner besteht darin, die Kanakisierung bestimmter Gruppen durch rassistische Zuschreibungen mit all ihren Folgen anzugreifen. Kanak Attak ist antinationalistisch, antirassistisch und lehnt jegliche Form von Identitätspolitiken ab, die sich etwa aus ethnologischen Zuschreibungen speisen.

Das Interventionsfeld von Kanak Attak reicht von der Kritik an den politisch-ökonomischen Herrschaftsverhältnissen und den kulturindustriellen Verwertungsmechanismen bis hin zu einer Auseinandersetzung mit Alltagsphänomenen in Almanya. Wir setzen uns für die Grund- und Menschenrechte ein, befürworten aber eine Haltung, die sich von dem Modell der Gleichheit absetzt und sich gegen die Unterwerfung durch eine hegemoniale Kultur richtet. Was richtig ist, muß in der jeweiligen Situation verhandelt und entschieden werden.

Seit Jahrzehnten existieren Vereine, die auf die politische Situation, Lebensverhältnisse und den Alltag von Nichtdeutschen hinweisen. Kanak Attak macht keine Lobbypolitik, setzt sich von konformistischer Migrantenpolitik ab und will eine breite Öffentlichkeit ansprechen. Es ist Zeit, denen das Feld streitig zu machen, die über Deutschland lamentieren, Respekt und Toleranz einklagen, ohne die gesellschaftlichen und politischen Zustände beim Namen zu nennen. Wir wollen weder ihre Nischen, noch akzeptieren wir ihre Anmaßung, uns, also dich und mich, zu repräsentieren.

Obwohl Kanak Attak für viele nach Straße riecht, ist es kein Kind des Ghettos. So hätten es die Spürhunde der Kulturindustrie gerne, die auf der Suche nach authentischem und exotischem Menschenmaterial sind. Dazu paßt die Figur des jungen, zornigen Migranten, der sich von ganz unten nach oben auf die Sonnenseite der deutschen Gesellschaft boxt. Was für eine rührende Geschichte könnte da erzählt werden, wie sich Wut in produktives kulturelles und ökonomisches Kapital verwandelt: eine wahre Bereicherung für die deutsche Literatur und den heimischen Musikmarkt! Sie sollen nur kommen.

Kanak Attak grenzt sich gegen Veranstaltungen wie den „Tag des ausländischen Mitbürgers“ ab, die den Dialog und das friedliche Zusammenleben zwischen Kanaken und der Mehrheitsgesellschaft fördern wollen. Kanak Attak ist kein Freund des Mültikültüralizm. Viele Befürworter hat dieses Modell aber ohnehin nicht mehr. Als ob es jemals über den Status kommunalpolitischer Experimente hinausgekommen wäre, reden Teile des Mainstreams inzwischen vom Scheitern der multikulturellen Gesellschaft. Da bleibt die Forderung nach Integration durch Assimilation und Unterwerfung nicht aus. Man selbst ist ja so offen, demokratisch, hybrid, ironisch. Aber die „anderen“! Sie sind verschlossen, traditionalistisch, sexistisch, humorlos und fanatisch – mit einem Wort: fundamentalistisch.

Klar, was den Migranten vor allem fehlt, ist Toleranz. Und wer sich nicht eingliedern will, der hat im aufgeklärten Almanya nichts verloren. Aber das ist nur eine Variante des Rassismus in Deutschland. Die Durchsetzung von national befreiten Zonen im Osten der Republik geht einen Schritt weiter: Ausländerfrei soll das Land werden.

Kanak Attak tritt gegen den Status „Ausländer“ an, der auch bei partieller Gewährung von Bürgerrechten alles andere als unseren Vorstellungen entspricht. Ohne daß wir es für den Himmel auf Erden erachten, wenn alle Pässe oder das Wahlrecht bekommen, erscheint es uns als notwendige Voraussetzung, daß jeder wenigstens gleiche Rechte genießt. Kommt doch der Frage der Staatsbürgerschaft gerade in Anbetracht alltäglicher Fragen mitunter existentielle Bedeutung zu. Man denke nur an Abschiebungsschutz bei Drogengebrauch, Arbeitslosigkeit oder unliebsamer politischer Betätigung. Eine juristische Gleichheit aller würde es erleichtern, über ökonomische Ursachen sozialer Ungleichheit nachzudenken und diese zu bekämpfen.

Seit der letzten Bundestagswahl zeichnet sich eine neue Konstellation ab. Die Möglichkeit der doppelten Staatsbügerschaft weicht zum ersten Mal seit dem Faschismus das Blutsprinzip auf, die vermeintlich schicksalhafte Verbundenheit mit dem Staatsvolk durch Geburt, zum großen Ärger von Konservativen, Rassisten und Rechten. Doch die Privilegierung von bestimmten Einwanderern geht einher mit dem Ausschluß anderer. Das Abwinken von Rot- Grün, was die Frage der Einwanderung und des Asyls betrifft, die fortgesetzte Praxis, Illegalisierte als Kriminelle abzustempeln, wie die Abschiebung unliebsamer Menschen per Ausländergesetz sprechen eine deutliche Sprache. Das alles zielt auf eine Spaltung zwischen genehmen, geduldeten und unerwünschten Gruppen.

Die Liste der Gängelungen ist lang. Ob sie in Form von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften oder als ethnologische Gesichtskontrollen in Fußgängerzonen oder Bahnhöfen daherkommen, sie stehlen den Leuten Raum und Zeit. Von Angriffen auf Leib und Leben als solche erkennbarer Kanaken, die im einheimischen Dschungel an der Tagesordnung sind, einmal ganz zu schweigen. Die sind aber nicht nur das Geschäft des teutonischen Faustrechts, sondern auch der staatlichen Asyl- und Abschiebepraxis.

Der Rassismus artikuliert sich auch in Deutschland aktuell vor allem in kulturalistischer Ausprägung: Der Islam dient als eine Projektionsfläche für unterschiedliche Rassismen. Dabei geht es nicht zuletzt um das Phantasma der Unterwanderung durch fremde Mächte. Für uns kommt der Islam nicht als homogene Ideologie daher. Mit der alltäglichen Religionsausübung hat der organisierte politische Islam, den wir gänzlich ablehnen, wenig zu tun. Im Kopftuch- Diskurs verdichten sich die Zuschreibungen. An diesem Punkt entdeckten sogar reaktionäre Politiker ihr Herz für die unterdrückte Frau, solange man ihre Unterdrückung dem ach so rückständigen Islam in die Schuhe schieben kann.

Eine andere rassistische Denkfigur, die es zu attackieren gilt, ist die Vorstellung, daß die Zusammensetzung von Bevölkerungen nicht dem Zufall überlassen, sondern reguliert werden muß. Wer ein Verständnis dafür zeigt, daß auch andere gerne selbst entscheiden, wo und wie sie leben wollen, wird von Wohlmeinenden auf den Problemdruck hingewiesen, den die unkontrollierte Einwanderung zur Folge habe. Ein „Zuviel“ von den einen und ein „Zuwenig“ von den anderen sorge im besten Fall für schlechte Stimmung. Wir fordern nicht die Ausdehnung der staatsbürgerlichen und anderer Privilegien auf eine zusätzliche Gruppe, sondern stellen die Re- gelung des „Drinnen“ und „Draußen“, die Hierarchisierung der Lebensmöglichkeiten durch Rassismus als solche in Frage.

Kanak Attak bietet eine Plattform für Kanaken aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, denen die alte Leier vom Leben zwischen zwei Stühlen zum Hals raushängt und die den Quatsch vom lässigen Zappen zwischen den Kulturen für windigen, postmodernen Kram halten. Kanak Attak will die Zuweisung von ethnischen Identitäten, das „Wir“ und „Die“ durchbrechen. Und weil Kanak Attak eine Frage der Haltung und nicht der Herkunft oder der Papiere ist, sind auch Nichtmigranten und Deutsche der n2-Generation mit bei der Sache.

Aber die bestehende Hierarchie von gesellschaftlichen Existenzweisen und Subjektpositionen läßt sich nicht spielerisch überspringen. Es sind eben nicht alle Konstruktionen gleich. Damit bewegt sich das Projekt zwischen auflösbaren Widersprüchen, was das Verhältnis von Repräsentation, Differenz und die Zuschreibung ethnischer Identitäten angeht.

Wir treten an, eine neue Haltung von Kanaken aller Generationen auf die Bühne zu bringen, eigenständig, ohne Anbiederung und Konformismus. Wir greifen auf einen Mix aus Theorie, Politik und künstlerischer Praxis zurück. Dieser Song gehört uns.

Es geht ab. Kanak Attak!

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