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Mit Gülle gegen EU-Billigimporte

Polnische Bauern legen mit Protesten gegen die Agrarpolitik und den EU-Beitritt das Land lahm. Die völlige Öffnung des Marktes würde viele Bauern ruinieren  ■ Aus Warschau Gabi Lesser

Die Panzer kommen!“ ruft der Bauer und pfeift zum Gegenangriff. Wasserwerfer und Traktoren fahren langsam aufeinander zu. Als die erste Tränengasfontäne auf die Bauern niedergeht, öffnen diese die Ventile an den Güllezisternen und stellen die Pumpen an. An Deckung ist nicht mehr zu denken. Die 60 Polizisten sind zwar mit kugelsicheren Westen bewehrt, auf gezielten Schweinepissebeschuß aber nicht vorbereitet. Dennoch treten sie nicht den Rückzug an. Triefend und stinkend nehmen sie die Personalien der protestierenden Bauern auf. Das „mandat“, die Geldbuße, werden die nicht bezahlen: „Ein Schwein kannst du haben!“ schreit ein aufgebrachter Landwirt den Polizisten an, der den Ausweis sehen will: „Ich habe 150 Schweine im Stall, und keiner will sie kaufen!“

Seit dem Wochenende legen rund 5.000 Bauern den Verkehr in Polen lahm. Die Angst vor dem wirtschaftlichen Ruin treibt sie auf die Straße, die Wut gegen die Regierung, die es zuläßt, daß hochsubventionierte EU-Produkte den polnischen Agrarmarkt überschwemmen und den heimischen Bauern einer keineswegs „gesunden Konkurrenz“ aussetzen. Im Sommer letzten Jahres hatten sie schon einmal gegen Billigimporte aus dem Ausland protestiert und Tausende Tonnen Getreide aus Ungarn vernichtet. Diesmal ist es der Preisverfall für Schweinefleisch auf dem Weltmarkt, der die verzweifelten Bauern aus den Ställen treibt. Zwar subventioniert die Regierung den Export von Schweinefleisch bereits mit 1 Zloty (43 Pfennig) pro Kilogramm, doch an die höheren Subventionen der EU reicht sie nicht heran. Die EU- Bauern aber, die im letzten Jahr ihre Schweinefleischproduktion um 7 Prozent auf über 202 Millionen Stück steigerten, können dank der Zuschüsse aus Brüssel nicht nur billiger als die polnischen Bauern anbieten, sondern schicken ihre Überschüsse auch noch als kostenlose „Lebensmittelhilfe“ nach Rußland. Das hilft, den Preis im Westen zu stabilisieren. Für die polnischen Bauern aber ist dieser wichtige Exportmarkt nun völlig eingebrochen.

Die kilometerlangen Lkw-Staus an den Grenzen werden sich erst Tage nach dem Ende der Demonstrationen auflösen können. Das aber ist noch nicht in Sicht. Die Gespräche zwischen der polnischen Regierung und drei Bauerngewerkschaften sind festgefahren. Dies liegt weniger an den Forderungen der Bauern – Schuldenerlaß für die Landwirte, Einschränkung der Agrarimporte aus der EU und Subventionierung der polnischen Fleisch-, Obst- und Gemüseexporte – denn an der Person Andrzej Leppers. Der Führer der radikalen Bauernorganisation Samoobrona (Selbstverteidigung) will eine Staatskrise provozieren. „Ich bin Lepper“, verkündet er in einer Pressekonferenz und läßt den Regierungschef wissen, daß er nur ihn als ebenbürtigen Gesprächspartner akzeptieren würde. Für den Landwirtschaftsminister, der eigens in das Heimatdorf des Bauernführers gefahren war, um mit ihm zu sprechen, hatte Lepper keine Zeit. Wenn die Regierung die Forderungen der Bauern nicht erfülle, so Lepper, werde er einen Bauern-Sternmarsch organisieren und die Regierung stürzen. Ministerpräsident Jerzy Buzek lehnt es ab, sich mit Lepper zu treffen. Der Landwirtschaftsminister hoffte, mit den Vertretern aller anderen Bauernverbände und -gewerkschaften eine Einigung zu finden, doch diese hatten am Dienstag nur eine Forderung: Lepper muß dabeisein.

Die Bauern haben vom Systemwandel in Polen am wenigsten profitiert. Während in den Städten der Lebensstandard in den letzten neun Jahren gewaltig angestiegen ist, scheint auf dem Dorf die Zeit stehengeblieben zu sein. Auf dem Land aber leben 40 Prozent der Bevölkerung Polens, über 14 Millionen Menschen. Für viele von ihnen ist das Plumpsklo neben dem Stall, der Brunnen vor dem Haus und das einzige Telefon beim Pfarrer oder dem Ortsvorsteher noch immer die Regel. Von den rund zwei Millionen Bauernhöfen in Polen produziert nur die Hälfte für den Markt. Die meisten Bauern Polens sind reine Selbstversorger. Nur ein gutes Drittel aller Landwirte lebt ausschließlich von der Produktion und dem Verkauf von Agrarprodukten. Offiziellen Statistiken zufolge tragen die Bauern zwar mit 6,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, doch dazu benötigen sie 4,3 Millionen Menschen, rund 28 Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Mit den hochtechnisierten und von Brüssel subventionierten Bauernhöfen in der EU können sie nicht mithalten.

Noch dazu wird den Landwirten allmählich klar, daß sie nach dem Beitritt Polens zur EU nicht im selben Maße wie ihre westlichen Kollegen am Geldsegen aus Brüssel teilhaben werden. Ohne Zuschüsse aber ist an eine Modernisierung der Landwirtschaft in Polen nicht zu denken. Die reine „Öffnung des Marktes“ im Agrarsektor würde die polnischen Bauern ruinieren.

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