: An den Rand gedrängt
■ Eine Erfahrungsgeschichte von NS-Opfern: Die Historikerin Beate Meyer untersuchte die Situation „Jüdischer Mischlinge“ im „Dritten Reich“
Jahrzehnte stand die Vernichtung der europäischen Juden im Zentrum der historischen Forschung zur nationalsozialistischen Rassenpolitik. Andere Opfergruppen traten dahinter zurück, mußten es aufgrund der Ungeheuerlichkeit der Vernichtungspolitik wahrscheinlich auch. Nun liegt erstmals über die sogenannten „Jüdischen Mischlinge“ eine ebenso fundierte wie gut lesbare Gesamtdarstellung vor. Die Hamburger Historikerin Beate Meyer untersucht darin die Rassenpolitik gegenüber den „Mischlingen“ und belegt die Wirkungsmächtigkeit dieser spezifischen Verfolgungserfahrung. Sie beleuchtet die widerstreitenden Intentionen der Politik gegenüber den „Mischlingen“, vor allem aber die Auswirkungen der Verfolgung.
taz: Sie haben langjährige Erfahrung, was die oral history und das Befragen von Zeitzeugen angeht. Wie kam es zu dem Projekt über die „Jüdischen Mischlinge“?
Beate Meyer: „Mischlinge“ sind ja ein rein gedankliches Konstrukt ihrer Verfolger. Das habe ich bei vielen Interviews gemerkt, beispielsweise als ich eine Zeitzeugin nach ihrer jüdischen Mutter und deren Erlebnissen während der NS-Jahre befragte. Zum Teil hatten diese Menschen ihre jüdische Abstammung über Jahrzehnte verborgen, dabei mußten sie die Schule abbrechen, durften nicht studieren oder verloren ihre Arbeit. Das hat meine Neugier geweckt, mich mit ihnen zu befassen.
Sie zeigen, wie der Grad der Ausgrenzung variierte, je nachdem, ob der Vater oder die Mutter jüdisch waren oder die Betroffenen in sogenannten Mischehen lebten.
Es handelte sich um ein fein differenziertes System der Sonderrechte, je nachdem ob jemand als Voll-, Halb- oder Vierteljude eingestuft wurde. Beispielsweise mußten die jüdischen Partner einer privilegierten Mischehe keinen Stern tragen und wurden nicht deportiert. Aber die Angst vor der Vertreibung und Ermordung war immer da, hatte das NS-System für Mischlinge doch die Zwangssterilisation und die Aussiedlung überlegt.
Sie haben 60 Hamburger interviewt und außerdem zahllose Gerichts- und Wiedergutmachungsakten ausgewertet – mit welchem Ziel?
Ich wollte wissen, welchen Maßnahmen „Mischlinge“ ausgesetzt waren, welche Umgangsstrategien sie entwickelten und vor allem, welche Auswirkungen die Verfolgung als Mischling zeitigte. Ich wollte eine Erfahrungsgeschichte dieser NS-Opfer schreiben.
Welche Maßnahmen ergriffen die Nationalsozialisten?
In den besetzten Ostgebieten wurden sie wie die Juden behandelt und in KZs verbracht, im übrigen Reichsgebiet hingegen wurden sie durch ausgrenzende Vorschriften aus dem öffentlichen Leben an den Rand gedrängt. Da ging ein politisch bedingter Riß mitten durch die Familien, wurden Partner preisgegeben und Angehörige im Stich gelassen. Das war ein permanenter Ausgrenzungsprozeß gegen die rund 72.000 „Mischlinge“, der sich Ende 1944 verschärfte, als sie zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden – allein in Hamburg tausend Männer.
Die NS-Ideologie propagierte doch aber die „Ausmerzung des jüdischen Anteils am deutschen Volkskörper“?
Die Bürokratie setzte die Judenvernichtung um, widersetzte sich aber einer Ausweitung auf weitere Verfolgtengruppen jüdischer Herkunft ersten, zweiten oder dritten Grades. Keineswegs aus humanitären Erwägungen, sondern aus Furcht, das würde unkontrollierbar; sicher spielte aber auch eine Rolle, daß Teile der militärischen und künstlerischen Elite familiäre Beziehungen zu „Mischlingen“ hatten. Schließlich führten die Bedenken der Bürokratie zur Verschiebung einer „Endlösung“ der „Mischlingsfrage“ auf die Zeit nach dem Krieg.
Wie verhielt sich die nichtjüdische deutsche Bevölkerung?
Die pauschale These vom eliminatorischen Antisemitismus ist da wenig hilfreich. Die zeitliche Differenzierung ist wichtig: Die Mischlinge machten auch Erfahrungen der Solidarität. Als es ab 1943 keine Juden inmitten der deutschen Gesellschaft mehr gab, wurde allerdings der Haß gegen die „Mischlinge“ bei Teilen der Bevölkerung stärker.
Wie prägte diese besondere Erfahrung der Verfolgung die Betroffenen?
Bei „Mischlingen“ dauert die psychische Anspannung fort. Sie vermieden Aufmerksamkeit. Die Angst vor der Ausgrenzung wirkt untergründig noch immer. Sie wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, nicht ganz nach draußen. Aber die Grenze war fließend.
Interview: Frauke Hamann
Beate Meyer: „,Jüdische Mischlinge'. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945“, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1999, 494 Seiten, 48 Mark
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