piwik no script img

Nachbereitung der Revolte auf Rumänisch

■ Nach den Bergarbeiterprotesten kursieren Putschgerüchte. Die Regierung schweigt dazu

Bukarest (taz) – „Versuchter Staatsstreich“ lautet die Überschrift eines Leitartikels, den der bekannte rumänische Bürgerrechtler Gabriel Andreescu in dieser Woche in der Intellektuellenzeitschrift 22 veröffentlicht hat. Doch statt die bürgerkriegsähnlichen Ereignisse zu kommentieren, die Rumänien vor wenigen Tagen an den Rand des Ausnahmezustandes brachten, wirft Andreescu Fragen über Fragen auf, wie: „Wer waren die Militärexperten, die die erfolgreichen Angriffe der Bergarbeiter organisierten?“

Wie Andreescu spekulieren auch die meisten anderen Beobachter über die Bergarbeiterrevolte der letzten Woche. In Rumänien ist die Zeit der Szenarien angebrochen – wie immer, wenn das Land Krisen oder politische Affären durchlebt. Es verwundert kaum. Denn die, die antworten müßten, reden sich heraus oder schweigen, allen voran Staatspräsident Emil Constantinescu. In einer Stellungnahme vom Dienstag spricht er lapidar davon, daß die „Vorfälle analysiert“ werden würden – Vorfälle, die Rumäniens junge Demokratie fast die Existenz gekostet hätten.

Das ausgeklügelte Szenario eines geheim und gut organisierten Putschversuches würde die Ehre des Staates und der Machthaber retten. Tatsächlich beweist der Verlauf der Bergarbeiterrevolte in erster Linie, daß im rumänischen Staatsapparat und vor allem im Innenministerium chaotische Zustände herrschen und daß weder Staatspräsident noch Regierung diesen Apparat kontrollieren.

Eine zentrale Koordination beim Vorgehen gegen die Bergarbeiter fehlte zeitweise. Die Polizisten, Gendarmen und Elitetruppen des Innenministeriums, die die Bergarbeiter auf ihrem Marsch nach Bukarest aufhalten sollten, waren schlecht vorbereitet. Sie verbrachten letzte Woche in eisiger Kälte mehrere Nächte unter freiem Himmel und ohne angemessene Verpflegung, während lokale Behörden den Bergarbeitern aus Angst vor Plünderungen Unterkünfte und Lebensmittel zur Verfügung stellten. Strategen aus dem Innenministerium hatten dilletantische Straßensperren an ungeeigneten Orten errichten lassen. Kommandanten einzelner Einheiten flohen vor den Bergarbeitern und ließen ihre Untergebenen im Stich. Andere räumten den Bergarbeitern freiwillig den Weg oder setzten Ausrüstungen nicht ein.

Selbst auf höchster Ebene herrschte Chaos. So etwa verkündete der Verteidigungsminister Victor Babiuc letzten Freitag auf der Sondersitzung des Parlamentes, daß bereits der Ausnahmezustand herrsche, obwohl dieser vom Staatspräsidenten noch nicht dekretiert worden war.

Nur wenige Tage danach herrscht nun wieder merkwürdige Normalität. Nachdem Innenminister Gavril Dejeu letzte Woche zurückgetreten war, weil er die Bergarbeiter auf ihrem Vormarsch nach Bukarest nicht aufhalten konnte, hat sein Nachfolger Constantin Dudu Ionescu mehrere Funktionäre aus dem Innenministerium absetzen lassen und eine Untersuchung über das Vorgehen der Sicherheitskräfte eingeleitet.

Auch über andere Folgen der Bergarbeiterrevolte herrscht Unklarheit. Der Regierungschef Radu Vasile, der letzten Freitag mit dem Bergarbeiterführer Miron Cozma ein Abkommen zur Beilegung des Konfliktes unterzeichnete, teilte bislang nicht mit, was der politische und ökonomische Preis des Friedens war. So etwa dementierte er bisher nicht, daß Miron Cozma und seinen Kumpeln Straffreiheit gewährt wird. Zwar hat der Generalstaatsanwalt ein Verfahren gegen den Bergarbeiterführer eingeleitet. Doch das könnte sich als bloßes Alibi erweisen, denn Cozma befindet sich auf freiem Fuß. Ebenso ist über die ökonomische Seite des Abkommens nur wenig klar. Angeblich sollen Minenschließungen und Subventionsstreichungen rückgängig gemacht werden.

Auch der faschistische Demagoge und Chef der „Großrumänien“-Partei, Corneliu Vadim Tudor, könnte noch einmal davonkommen. Der Justizminister hat gefordert, die „Großrumäenien“- Partei zu verbieten. Über das Ersuchen soll das Verfassungsgericht entscheiden. Handhabe dafür sind eine Proklamation vom letzten Herbst, in der die Partei Konzentrationslager für Roma fordert, sowie die Erklärungen Tudors der letzten Woche, in der er zum Generalstreik, zum Sturz der Regierung und zur Revolution aufgerufen hat. Keno Verseck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen