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Keine Umleitung im Beratungsstau

Anwälte wollen Schuldner beraten. Das wäre zu teuer, findet die Behörde  ■ Von Kai von Appen

Zwischen der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer und der Hamburger Justizbehörde bahnt sich Clinch an. Denn die Behörde weigert sich, AnwältInnen für die außergerichtliche Beratung überschuldeter Privathaushalte zu bezahlen. Das sollte sich schleunigst ändern, forderte die Kammer gestern. Schließlich sei in allen Bundesländern mit Ausnahme Hamburgs und Bremens bereits ein Beratungshilfegesetz in Kraft, das es AnwältInnen ermöglicht, für die SchuldnerInnenberatung Geld aus öffentlichen Kassen zu bekommen.

Seit dem 1. Januar gilt das neue Verbraucher-Insolvenzgesetz. Die Regelung ermöglicht es Privatleuten und Kleinunternehmern, nach sieben Jahren ihre Restschulden erlassen zu bekommen. Voraussetzung dafür ist allerdings der Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern. Dazu muß der Schuldner einen Plan aufstellen, in dem aufgeführt ist, wie er gedenkt, wenigstens einen Teil seiner Schulden zu tilgen. „Damit sind die Schuldner oft überfordert“, weiß Konkursexperte Heiko Fialski. Einen Anwalt zu konsultieren, ist jedoch nach Meinung von Kammervorständler Curt Engel für Sozialhilfeempfänger und „arme Schlucker“ nicht bezahlbar. Wenn jemand 30.000 Mark Schulden habe und sich von einem Profi vertreten lasse, müsse er allein für den Versuch einer außergerichtlichen Einigung laut der geltenden Gebührenordnung 900 Mark berappen. Bei Erfolg seien sogar 2.600 Mark fällig.

Erst im anschließenden Verbraucher-Konkursverfahren vor Gericht kann Prozeßkostenhilfe in Anspruch genommen werden. „Es kann doch nicht sein, daß erst Geld an den helfenden Anwalt geht und dann erst an die Gläübiger“, schimpft Engel. Kammerpräsident Klaus Landry bekräftigt: „Wenn man es wirklich ernst meint, auch Sozialhilfeempfängern Restschuldbefreiung zuteil kommen zu lassen, muß der Staat auch finanzielle Hilfe leisten.“

Kurzfristig kostenlose Unterstützung zu bekommen, sei für die Schuldner kaum möglich, weil die Schuldnerberatungstellen der Kirchen, Bezirke und der Verbraucherzentrale überlastet seien. Zum Teil sei dort ein „Beratungsstau“ von mehreren Monaten zu beobachten.

Die Justizbehörde winkt jedoch ab. Erstens käme mit einem entsprechenden Gesetz eine „unkontrollierbare Kostenflut“ auf die Hansestadt zu, erklärt Sprecherin Annette Pflaum. Zudem gebe es derzeit „keinen Handlungsbedarf“. Weil in Hamburg jeder die Öffentliche Rechtsauskunft in Anspruch nehmen könne, finde das Gesetz keine Anwendung.

Statt dessen verweist die Behörde auf die bestehenden Schuldnerberatungsstellen: „Es sind 11,5 neue Stellen in der Schuldnerberatung eingerichtet worden“, erklärt Annette Pflaum. Diese Posten sollen demnächst besetzt werden. „Wenn dieses Instrumentarium endlich in Gang gesetzt wird, kann der Beratungsstau auch schnell abgebaut werden.“

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