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Der Putschist hat Kreide gefressen

Am 4. Februar 1992 hatte Hugo Chávez in Venezuela geputscht und war gescheitert. Im Dezember 1998 gewann er mit 56 Prozent der Stimmen die Wahlen. Heute, am 2. Februar 1999, tritt er als neuer Präsident sein Amt an  ■ Von Ingo Malcher

Buenos Aires (taz) – Etwas durchgesessen werden die Sitze in der venezolanischen Militärmaschine schon sein, in der Hugo Chávez durch die Welt jettet. Der künftige Präsident von Venezuela hat sich ein dichtes Reisepensum vorgenommen, um vor seinem heutigen Amtsantritt bei Regierungen, internationalen Organisationen und Investoren gut Wetter zu machen. Die USA, Frankreich, Argentinien, Kolumbien und Kuba waren nur einige Stationen auf seinen Reisen. Wo auch immer er ankam, gab er sich betont freundlich. Schließlich wollte er zeigen, daß er kein Monster ist, sondern ein Demokrat. Einen ehemaligen Putschgeneral haben viele erwartet – und waren überrascht, einem Mann mit Maßanzug die Hand zu schütteln. Seine Militäruniform hat er für Staatsbesuche in den Schrank gehängt.

Gezwungenermaßen. Im Jahr 1992 putschte Chávez mit anderen Generälen gegen den gewählten Präsidenten Carlos Andres Pérez. Offizielle Zahlen zu den Opfern gibt es nicht, Beobachter sprechen jedoch von fast 300 Toten. Chávez wurde aus der Armee ausgeschlossen und zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, aber schon im März 1994 begnadigt.

Der Aufschrei war groß, als der Ex-Putschist im Dezember vergangenen Jahres mit 56 Prozent der Stimmen die Wahlen gewann. Seine Wähler kommen vor allem aus der Unterschicht und fühlen sich von den traditionellen Parteien verraten. Chávez ist anders, ein Mann, der die Dinge anpackt und beim Namen nennt. Doch seine Vergangenheit macht ihn im In- und Ausland zu einer verdächtigen Person. Daher hat Chávez eifrig Kreide gefressen und ist bemüht, sich als Demokrat zu zeigen. „Ich bin kein Teufel“, wehrt er sich und verspricht, eine „humane und zivile“ Regierung anzuführen.

Doch sein Plan, die demokratischen Institutionen umzukrempeln, bleibt. Kurz nach seiner Wahl verkündete er eine grundlegende Verfassungsreform. In einer Volksbefragung will er sich die Erlaubnis holen, eine verfassunggebende Versammlung wählen zu lassen, die das alte Grundgesetz reformiert. Sein Ziel: die Schlupflöcher der Korruption zu schließen und die Bürokratie schlanker zu machen.

Darüber hinaus will Chávez den Senat abschaffen und ihn ins Parlament überführen, da er der Ansicht ist, daß eine Kammer genüge. Dabei würden die Senatoren auf Lebenszeit ihre Sitze verlieren, wogegen sich die Herren aus den klassischen Parteien sträuben. Wie in Chile zieht auch in Venezuela jeder Präsident nach Ende seiner Amtszeit als Senator auf Lebenszeit in den Senat.

Kritisch beäugt wird Chávez' Präsidentschaft von den USA. Venezuela ist, noch vor Saudi-Arabien, der größte Erdöllieferant der USA und ist daher für die USA von geostrategisch wichtiger Bedeutung. Noch 1996 verweigerten die USA Chávez ein Visum für die Einreise in die USA mit der Begründung, daß er als Putschist draußen zu bleiben hätte. Das hat sich mittlerweile geändert – Präsident Bill Clinton und Chávez haben sich in Washington schon mal die Hand gegeben. Für die Außenpolitik hat sich Chávez José Vicente Rangel als Minister an Bord geholt. Der prominente Journalist gilt als integer und trat mehrfach auf seiten der Linken gegen die großen Parteien als Präsidentschaftskandidat an.

Chávez setzt auf die Integration in der Region und will in den ge- meinsamen Markt Südamerikas (Mercosur), zu dem sich Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay zusammengeschlossen haben, Chile und Bolivien sind assoziiert. Beifall für einen möglichen Mercosur-Beitritt Venezuelas kam von Brasiliens Präsident Henrique Cardoso, der hofft, als Erdölproduzent gemeinsam mit Venezuela mehr Gewicht zu bekommen.

Offensichtlich hat Chávez vor, sich in Lateinamerika in die Politik einzumischen und sie mitzugestalten. So engagiert er sich in den Friedensverhandlungen zwischen kolumbianischer Regierung und der Guerilla. Zu diesem Zweck traf er sich mit dem kolumbianischen Präsidenten Andrés Pastrana und dem kubanischen Staatschef Fidel Castro auf Kuba, weil Pastrana den Einfluß Castros auf die Rebellen nutzen wollte, um einem Friedensvertrag näher zu kommen. Chávez ist ein Mediator zwischen dem konservativen Pastrana und dem Sozialisten Castro. Bei seinem Besuch zeigte er sich fasziniert vom kubanischen Sozialsystem.

Sein Engagement in Sachen Kolumbien hat für einiges Aufsehen gesorgt. Was ihm bislang jedoch komplett fehlt, ist das Vertrauen der ausländischen Investoren. „Es gibt immer noch eine große Unsicherheit. Wir haben keine klare Idee, was seine Wirtschaftspolitik ist“, sagt Miguel Octavio, Analyst bei der Investmentbank Bancaracas, über Chávez. Schon vor der Wahl versuchte Chávez die Geschäftswelt zu beruhigen und versprach, keine Privatisierungen rückgängig zu machen, obwohl sich sein Diskurs gelegentlich danach anhörte. Mißverständnisse mit möglichen Investoren kann sich Chávez nicht leisten. Das Land ist dringend auf Devisen aus dem Ausland angewiesen. Die Wirtschaft hängt am Tropf des Ölpreises, und der befindet sich derzeit auf einem Rekordtief.

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