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Gestürzt, wiederauferstanden

■ Der Bremer Kulturverein „Freizeit 2000“ erfindet den „Lew-Kopelew-Friedenspreis“. Will Quadflieg erhält ihn am Sonntag

Habe ach Philosophie, Juristerei.... studiert und bin so schlau als wie zuvor, klagte Will Quadflieg, einst, noch braunhaarig, in Gründgens legendärer Faustverfilmung von 1957. Vielleicht landete er deshalb im Alter nicht am Schreibtisch, sondern auf der Straße – zum Beispiel als Ostermarschierer. Beim Stöbern im taz-Archiv stößt man auf folgende Hinweise politischen Engagements: Ostermarsch vor der US-Kaserne Garlstedt 1989 und 1992 in der Nähe seines Wohnorts Heilshorn, 20/30 km von Bremen entfernt; 1992 Moderation eines Multikultifests am Bremer Theater, Eröffnung einer Fotoausstellung zu den Judenpogromen, Eröffnung einer Ausstellung über Pazifismus in Bremen; Plädoyer für die SPD bei den Bundestagswahlen vor acht Jahren, zusammen mit Inge Meysel; Mitwirkung an der Huchtinger „Schule der Nashörner“ für behinderte Kinder; Einsatz für Landminenverbot; Mitwirkung an Benefizveranstaltungen für Aidskranke und gegen die herrschende Asylpolitik.

1992 wurde er mit dem Friedenspreis der Villa Ichon ausgezeichnet. Am Sonntag erhält er einen weiteren. Der Kulturverein „Freizeit 2000“, der jede Menge schöner Lesungen und Vorträge in Bremen veranstaltet, vergibt zum ersten Mal den sogenannten Lew-Kopelew-Friedenspreis.

Man mag von symbolischen Gesten im allgemeinen, vom gesellschaftlichen Nutzen von Preisen im besonderen, von kleinen, unetablierten Preisen im speziellen, halten was man will, Will Quadflieg zählt zu den interessantesten Erscheinungen der deutschen Theatergeschichte. Ebenfalls im taz-Archiv kann man auch auf zwei kurze Veranstaltungsnotizen aus den frühen 90ern stoßen: Aufführung im Thalia-Theater verschoben wegen Krankheit von Will Quadflieg. Kürzlich ist der 85jährige böse gestürzt und hat deshalb nicht Nerv noch Energie, mit uns zu reden.

Als dürre Kompensation leihen wir uns ein paar Zitate aus einem wunderbaren Porträt aus, das Peter von Becker 1984 zum 70. Geburtstag von Faust alias Michael Kramer alias Molieres Menschenfeind alias König Lear für „theater heute“ skizzierte. Im Unterschied zur Dauerkarriere Bernhard Minettis war Quadflieg beim Regietheater lange Zeit abgeschrieben. Dazu Günter Rühe, ebenfalls „theater heute“: „Quadflieg wurde, wie andere seiner Kollegen, Opfer der Veränderung im Theater, in denen die idealistischen Positionen, alle Begriffe von Schönheit, Wortgestalt und geistiger Spannung – alles Tugenden des Klassikers Quadflieg – aufgegeben wurden. Das ist heute seine nüchterne unlarmoyante Einsicht: Das Aufsagetheater mußte weg. Ich wurde mit abgeräumt.“ Spiegelbildlich zur Ignoranz der Regisseure stand Quadfliegs skepstische Einstellung gegenüber den jungen Wilden der frühen 70er Jahre.

Die zu revidieren, fing er an in Bremen: „Als ich vor einigen Jahren hier in Bremen Peter Steins „Tasso“ sah, hat mich das sehr erregt. Ich konnte dazu von meinen eigenen Rollenerlebnissen nicht in allem gleich einen Zugang finden. Aber ich sah vieles, was mich packte: Daß alle Figuren immer auf der Bühne blieben, daß Bruno Ganz sich einmal in einer Embryohaltung zusammenkrümmte... Aber hinter solch seriösen Versuchen, das Theater zu erneuern, kam sehr schnell die 3. und 4. Garnitur von Leuten, die alles immer noch obszöner, noch witziger, noch greller wollten. Das hat mich abgestoßen.... Ich habe dann auch mehr und mehr als Rezitator gearbeitet.“ Einige harsche Urteile seiner Biografie „Wir spielen immer“ (1976) hätte er aber 1984 „gerne nuancierter ausgeführt“. Quadfliegs Frau erzählt, daß ihr Mann auch heute noch, 15 Jahre nach diesen Äußerungen, zeitgenössische Inszenierungen mit großer Sympathie verfolgt, trotz noch mehr Grellheit, noch mehr Witzelei.

Ganz sicher nicht nur deshalb, weil er nach Jahren der Ignoranz als alter Mann für die Bühne reaktiviert wurde, vor allem von Jürgen Flimm. Und auch im TV war er wieder zu sehen, im „Großen Bellheim“ neben Mario Adorf und in Markus Imhoofs Verfilmung von Bernward Vespers „Die Reise“.

Von seinem Leib- und Magenregisseur Rudolf Noelte schwärmte er 1984: „Diese genaue Verabredung, dieses genaue Festlegen, ein halber Blick, ein Atemholen, eine Pause, ein Zögern, ein Zerlegen des Textes ins Suchende. Für mich ist Theater eigentlich immer weniger Trance, immer mehr Kontrolle.“ Dies minutiöse Durchchoreogra-fien macht sicher: „Wenn ich einmal eine Rolle erlitten, dann kann ich sie immer wieder herstellen. Ich kann genau meine Drähte ziehen. Den großen heulenden Aufwand, Zusammenbrüche, Tragödien kann man einfach herstellen und dabei sich selbst zuschauen, an andere Dinge denken.“

Zum Beispiel an Aids, Granaten, Asylpolitik.

Die Preisverleihung ist am Sonntag um 11 Uhr im Bremer Ratskeller. Laudatio hält Wolfgang Eschwede von der „Forschungsstelle Osteuropa

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