: Nichts gratis: Weser-Report muß zahlen
■ Ehemaliger Chefredakteur gewinnt Prozeß vor dem Arbeitsgericht. Verlagsgesellschaft KPS muß 167.000 Mark Abfindung plus Gehalt nachzahlen.
„Neuer, besser, gratis – der neue Weser-Report“, wirbt das „auflagenstärkste“ Anzeigenblatt „in Bremen und Umgebung“ auf einer Plakatwand am Bahnhof – unweit vom Arbeitsgericht, wo sich gestern morgen Ex-Chefredakteur Ronald Famulla und der Geschäftsführer der KPS Verlagsgesellschaft, Peter Führing, gegenüberstanden. Famulla lehnte vor Beginn der Verhandlung an der weiß getünchten Wand des Gerichtssaals und starrte in Führungs Richtung. Der KPS-Geschäftsführer drehte dem Journalisten den Rücken zu und starrte aus dem Fenster.
Famulla klagt auf die Zahlung einer Abfindung von rund 167.000 Mark und auf ein Monatsgehalt von 12.000 Mark. Im Oktober des vergangenen Jahres hatte KPS mit Famulla einen Auflösungsvertrag geschlossen. Der Weser-Report sollte erneuert werden, Famulla mußte gehen.
KPS hat Widerklage erhoben und will 7.000 Mark von Famulla zurück. Er habe sich nach Abschluß des Auflösungsvertrages krank gemeldet, obwohl er gesund gewesen sei. Um das zu beweisen, hatte der Weser-Report den Journalisten durch einen Privatdetektiv beschatten lassen (siehe taz 19.1). Der Detektiv folgte dem kranken Chefredakteur ins Fitneß-Studio. KPS kündigte Famulla daraufhin fristlos und zahlte ihm weder Gehalt noch Abfindung.
Daß Famulla tatsächlich krank war, bestätigte sein Hausarzt in einer schriftlichen Stellungnahme. Aufgrund der psychischen Belastung habe er über Herzrhythmus-Störungen und Bauchschmerzen geklagt. Der Besuch im Fitneß-Studio sei „durchaus sinnvoll“ gewesen, um den Patienten von seinen „aktuellen Problemen abzulenken“.
Das wollte der Anwalt von KPS nicht hinnehmen. Streß und Ar-beitsunfähigkeit seien zweierlei. Wenn ein Chefredakteur keinen Streß vertrage, habe er seinen Job verfehlt. Außerdem sei der Streß im November - zum Zeitpunkt der Krankmeldung - schon lange vorbei gewesen. Und wenn der Prozeß bis ins nächste Jahrtausend dauern würde, KPS würde weiter klagen. Famulla habe sich ohnedies noch mehr zuschulden kommen lassen. Er habe den Betriebsfrieden gestört, indem er einige Mitarbeiter vor dem neuen Chefredakteur gewarnt habe. Außerdem habe er versucht, das Unternehmen zu erpressen. Um die „Konsensfähigkeit“ des Verlegers Klaus-Peter Schulenberg (KPS) wiederherzustellen, habe Famulla angekündigt, Betriebsinterna zu verraten. Famulla habe gedroht, in der Öffentlichkeit zu lancieren, daß KPS für die Dienstwagen zwar den Journalistenrabatt in Anspruch nehme (Journalisten bekommen beim Autokauf bei einigen Firmen einen Rabatt von etwa zehn Prozent), die Fahrzeuge allerdings nicht von der Redaktion genutzt würden. Außerdem seien die Büroräume von einem Schwarzarbeiter gestrichen worden. Führing dementierte die Vorwürfe nach der Verhandlung gegenüber der taz.
„Der Streß ging erst richtig los“, meldete sich Famulla zu Wort. „Ich sollte den neuen Weser-Report für den neuen Chefredakteur konzipieren. Das hat mich fertiggemacht.“ Seine neuen Seiten seien dann in „konspirativen Treffen“ dem neuen Chefredakteur vorgelegt worden. „Da behalten Sie mal einen klaren Kopf.“
Der Richter zeigt für Famulla vollstes Verständnis. Er sieht weder eine versuchte Erpressung noch die Störung des Betriebsfriedens. Er hat keinen Zweifel, daß Famulla krank war. Und daß ein Chefredakteur nach zwölf Jahren „einfach fertig“ sei, leuchtet auch ihm ein. Ob sich die Parteien einen Vergleich vorstellen könnten, will der Richter wissen. Famulla schüttelt den Kopf. „Und wenn die Entscheidung bis ins nächste Jahrtausend dauert. Das sitzen wir aus“, sagt auch sein Anwalt. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Am Nachmittag folgt das Urteil. Und es wird teuer. KPS muß zahlen – die Abfindung und das Gehalt.
Kerstin Schneider
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