: „Was sollen wir da bloß machen?“
Auf der Welt-Dopingkonferenz darf IOC-Mitglied Pal Schmitt als Arbeitsgruppenleiter Ethik Wege suchen, die Unmoral im Sport nicht nur mit Strafen zu bannen ■ Aus Lausanne Matti Lieske
Es hatte schon etwas Gespenstisches, Leute wie den australischen NOK-Präsidenten John Coates, der zwei afrikanischen IOC-Mitgliedern in der Nacht vor der Abstimmung über Sydneys Olympiazuschlag insgesamt 70.000 Dollar zugeschustert hatte, ausgerechnet über Ethik im Sport reden zu hören. Geleitet wurde die Arbeitsgruppe, die den entsprechenden Bericht für die „Weltkonferenz über Doping im Sport“ in Lausanne erstellt hatte, vom Ungarn Pal Schmitt, der die Olympia GmbH in drei Tagen Berlin einst 18.000 Mark kostete. Zuerst habe er einen Schreck bekommen, als er für diese Aufgabe bestimmt wurde, gestand Schmitt gestern, und er habe sich gefragt: Was sollen wir da bloß machen? Am Ende aber war ihm aufgegangen: „Nichts ist wichtiger als Ethik“.
Schon 1996 in Atlanta hatte die 105. IOC-Vollversammlung den Mitgliedern die Aufgabe gestellt, „noch aktiver das Wissen über den Olympismus in ihren Ländern zu verbreiten“. Das ist ihnen glänzend gelungen, sagen böse Zungen, gemeint war aber weniger das Benehmen der Olympier als das der Sportlerinnen und Sportler.
Und das ist in den letzten Jahren, gelinde gesagt, nicht besser geworden. Ob 1998 soviel gedopt wurde wie noch nie, läßt sich nicht sagen, auf jeden Fall wurde soviel erwischt wie noch nie, und die Ausreden gerieten immer kurioser. Bei Uta Pippig war es das Absetzen der Pille, welches den hohen Testosteronwert verursachte, bei US- Sprinter Dennis Mitchell der bewegte Lebenswandel. „Wenn jemand sagt, Sex und Bier seien schuld gewesen“, sagte Sebastian Coe in Lausanne, „dann sind Vertrauen und Glaubwürdigkeit am Knackpunkt angelangt.“
Der britische Leichtathletik- Olympiasieger geißelte das „Gewinnen um jeden Preis“, die – abgesehen von Kontrollen und Sanktionen – vorgeschlagenen Mittel, diesem Trend entgegenzuwirken, scheinen angesichts der Realität im heutigen Sport, wo eine Hundertstelsekunde ein Vermögen ausmachen kann, leicht antiquiert und idealistisch. „Erziehung“ heißt das Zauberwort, das Wissenschaftler, Funktionäre und Athleten immer wieder ins Spiel bringen; wie diese Erziehung aussehen soll, ist unklar.
„Indoktrination ist keine Erziehung“, gibt der britische Wissenschaftler Jim Parry zu bedenken, Schmitt verwies auf exzellentes Aufklärungsmaterial, das etwa die NOKs in Kanada, Frankreich oder England besäßen. Auch hier warnt Parry: „Information allein ist keine Erziehung.“ Schließlich würden sich Jugendliche kaum dadurch vom Marihuanakonsum abhalten lassen, daß man ihnen sagt, es sei nicht gut für sie. Kontinuierliche Arbeit mit Lehrern und Trainern schlägt der Engländer vor, wobei sich die Frage stellt, wer das alles bezahlt und was überhaupt Gegenstand erzieherischer Maßnahmen sein soll.
Hier weicht die Position der Arbeitsgruppe, die in Lausanne Vorschläge zum Schutz der Athleten präsentierte und der ehemalige Aktive wie Olav Koss, Edwin Moses, Manuela di Centa, Nawal El Moutawakel oder Roland Baar angehörten, deutlich von jener der Funktionäre ab. „Es ist nicht klar“, heißt es im Resümee, „warum der Sport oder die olympische Bewegung Teil einer generellen Kampagne sein sollte, beispielsweise Marihuanagebrauch zu eliminieren.“
Damit steht die Kommission im klaren Gegensatz zu Pal Schmitt, der für das IOC verkündete, daß „soziale Drogen im Weltsport eliminiert“ würden, und natürlich auch zu Barry McCaffrey. Der Drogenbeauftragte des Weißen Hauses hat vermutlich zu oft den Film „Cool Runnings“ über das jamaikanische Bobteam geguckt und untermalte seine Forderung, Marihuana auf die Liste der verbotenen Substanzen zu setzen, mit Visionen von bekifften Bobfahrern, welche full speed die Bahn hinunterrauschen und total happy die nächste Zuschauergruppe niedermähen. Immerhin sprach sich auch die Athleten-Arbeitsgruppe dafür aus, soziale Drogen während der Olympischen Spiele zu verbieten, erklärte aber, daß sich das IOC auf „sehr riskanten Boden“ begebe, „wenn es moralische Regeln aufstellt, die nichts mit dem Sport zu tun haben“.
Zumindest mit dem Spitzensport hat auch ein anderer Bereich nichts zu tun, der dennoch eng mit Doping verwoben ist: der besonders in den USA verbreitete Anabolikakonsum von Jugendlichen. Das Drogenbüro des Weißen Hauses zitiert eine Studie von 1998, die besagt, daß inzwischen in den Altersklassen von 9 bis 13 Jahren Mädchen genauso häufig Steroide verwenden wie Jungen. 175.000 High-School-Absolventinnen haben danach mindestens einmal anabole Steroide genommen.
Der schwedische Mediziner Arne Ljungqvist bemängelt, daß Anabolika und ihre Wirkungen „erstaunlicherweise“ sehr wenig erforscht seien. So habe erst eine jüngere Untersuchung in Skandinavien ergeben, daß die Selbstmordrate bei Jugendlichen, die Anabolika nehmen, höher sei als bei ihren Altersgenossen. Mehr Geld für die Forschung verlangt Ljungqvist.
Neben der pädagogischen Offensive schlägt die Ethik-Arbeitsgruppe als Sofortmaßnahme eine Neufassung des Olympischen Eides vor, den jeder Teilnehmer unterschreiben muß. Nicht verzichten will das IOC auf den Wahlspruch „Citius, altius, fortius“. Man solle bloß, sagt Pal Schmitt, jedesmal „mit ehrenwerten Mitteln“ hinzusetzen. Ein schönes Motto für eine solch ehrenwerte Gesellschaft.
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