: Wer klagt, gewinnt
■ Prozesse und Geldstrafen: Die Presse in Aserbaidschan ist fest im Griff des Staates
Im Gerichtssaal ist es eiskalt. Das Tageslicht hat bei den grauschmutzigen Fenstern auch keine Chance, den Raum zu erwärmen. Den meisten Zuschauerbänken fehlen Sitzflächen oder Lehnen, auf den restlichen hat sich ein knappes Dutzend frierender Beobachter eingefunden. Ein Gericht in Baku verhandelt gegen das Wochenblatt Zerkalo: Das Kommunikationsministerium hat geklagt – es fühlte sich verleumdet.
Zerkalo, zu deutsch „Spiegel“, hatte beschrieben, warum bei der Verlegung eines Glasfaserkabels vom chinesischen Shanghai bis ins hessische Frankfurt um Aserbaidschan ein Bogen gemacht wurde. Das Ministerium sei schuld daran und damit am Verlust von Millionen Dollars. Keine Kleinigkeit also für die von den Folgen des Krieges um die armenisch besiedelte Enklave Berg-Karabach geschwächte ehemalige Sowjetrepublik.
Der heruntergekommene Zustand des Gerichtssaals macht augenfällig, welches Ansehen Gerichte im Land genießen. Und nicht nur dort: Die Gerichte würden von den Machthabern manipuliert und instrumentalisiert, so das US-Außenministerium in seinem Menschenrechtsbericht zu Aserbaidschan. Mithin konnte der Ausgang des Zerkalo-Prozesses Mitte Januar nicht überraschen: Das Ministerium bekam recht, Zerkalo und der Autor des Artikels sollen zahlen. Jeweils rund 7.500 Mark, das 50fache des Monatsverdienstes eines Redakteurs.
Dabei ist es noch kein halbes Jahr her, daß Präsident Heidar Aliev offiziell die Zensur abschaffen ließ – gerade rechtzeitig zu den Präsidentschaftswahlen. Doch schon bald nach Alievs von Fälschungsvorwürfen begleiteten Wiederwahl setzte eine Prozeßwelle ein. Die Kläger: Entweder hohe Regierungsmitglieder oder Mitglieder der Präsidentenfamilie.
Die Klagen an sich seien nicht das Problem, sagt Rauf Talischinski, Chefredakteur von Zerkalo: „Dem Kommunikationsminister hat nicht gefallen, was wir geschrieben haben, und er hat geklagt. Das ist normal, das passiert auch in Deutschland oder Amerika.“ Nicht normal aber ist, daß die Kläger mit hundertprozentigen Aussichten in die Prozesse marschieren. Und das ist gefährlicher als ein Zensor: Unter dem Deckmantel des vermeintlichen Rechtsstaates werden Zeitungen in den Ruin getrieben. Vor allem Organe von Oppositionsparteien sind betroffen, aber auch die wenigen unabhängigen Blätter wie Zerkalo.
100.000 Mark – wegen Präsidentenbeleidigung
Oder auch Azadliq, zu deutsch „Freiheit“, mit gut 9.000 Exemplaren die größte unabhängige Tageszeitung des Landes. Eine der Klagen handelte sich das Blatt mit dem Abdruck einer Äußerung von Ex- präsident Abulfas Eltschibey ein, der behauptet hatte, Nachfolger Aliev habe entscheidenden Anteil an der Gründung der kurdischen PKK gehabt – ein Sakrileg, bedenkt man das Bemühen des Präsidenten um ein ausgewogenes Verhältnis zum türkischen Bruderstaat. „Wir verstehen nicht, warum uns die Justizministerin verklagt“, erklärt Azadliq-Chefredakteur Gündüz Tahirli. Im Presserecht sei schließlich verankert, daß Journalisten nicht haften, wenn sie Äußerungen politisch relevanter Personen zitieren. Doch gleichzeitig ist die Beleidigung des Präsidenten verboten. Darauf berief sich die Gegenseite. Azadliq und die Autoren sollen für diesen und einen weiteren Fall zahlen, umgerechnet insgesamt rund 100.000 Mark.
Eine richtig teure publizistische Bombe zündete die Zeitung Ende des vergangenen Jahres. Sie druckte eine Liste, die sie nach Angaben Tahirlis aus dem Regierungsapparat gesteckt bekam.
Ruin durch „moralischen Schadenersatz“
Der Aufmacher titelte: „Die großen Herren eines kleinen Landes“: Namen von Politikern und anderen hochrangigen Angehörigen des Establishment, dazu Angaben, wo im Ausland die Herren angeblich ein Haus besitzen und wieviel sie dafür bezahlt haben. Dazu hat Chefredakteur Tahirli das Foto eines Flüchtlingslagers gestellt, in das das Bildchen einer schicken Villa montiert war.
Azadliq hat in ein Wespennest gestochen. Korruption im großen Stil ist weit verbreitet im politischen Geschäft Aserbaidschans, und natürlich kann man vermuten, daß der Auslandsbesitz der Regierungsmitglieder nicht von ihrem geringen Einkommen finanziert ist. Doch eine Liste zu veröffentlichen, ohne Belege zu haben, war weder klug noch journalistisch sauber, wie Chefredakteur Tahirli heute einräumt. Zu spät: Das Urteil lautet auf umgerechnet rund 250.000 Mark „moralischen Schadensersatz“ – und es bedeutet für die Zeitung das finanzielle Aus.
Fehler wie dieser, viel häufiger aber die Widersprüche im Pressegesetz liefern der politischen Elite im Lande eine willkommene Gelegenheit, unliebsame Öffentlichkeit nachhaltig einzuschüchtern oder auszuschalten. Um Journalisten kostenlos beraten zu können, will laut Zerkalo-Chef Talischinski, die Soros-Stiftung in Kürze ein Rechtsanwaltsbüro in Baku finanzieren. Doch auch die beste Rechtshilfe kann nicht viel ausrichten, bei dem bestehenden Pressegesetz, das in der nachsowjetischen Zeit kaum verändert worden ist. Die Paragraphen sind dehnbar in jede Richtung, die Liste der verbotenen Themen ist lang, zudem widersprechen sich die einzelnen Vorschriften. Mängel in diesem Gesetz sieht auch Ali Hasanov, Leiter der Abteilung für sozialpolitische Angelegenheiten im Präsidentenapparat. In den kommenden Monaten werde das Parlament ein neues Gesetz ausarbeiten, das dann den europäischen Standards entspreche, versichert er.
Ob sich durch ein neues Gesetz aber die bestehenden Strukturen ändern, bleibt fraglich. Ebenso, wie Azadliq und die anderen verklagten Zeitungen dem Konkurs entgehen sollen. „Meiner Meinung nach wird der Präsident die Schließung dieser Zeitungen nicht zulassen“, erklärt Regierungsmann Hasanov voll Vertrauen auf Heidar Aliev, der ihn in seinem Büro von vier Gemälden aus anschaut.
„Unsere Sache ist eine gerechte, und wir werden siegen“, erklärt Zerkalo-Chefredakteur Talischinski am Tag nach der Urteilsverkündung. Seine Zeitung werde in Berufung gehen. Auch Azadliq hat gegen die Urteile Berufung eingelegt. Julia Kovácz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen