Der Betatest für die Anfänger

■ „Tomorrow“ will das Netzmagazin der Massen sein. Online klappt das nicht so recht

„Ich hielt das Internet lange für eine Geldvernichtungsmaschine“, ließ sich Dirk Manthey zitieren. Jetzt hat der Mann, der schon TV- Spielfilm, Max und Amica auf den Markt brachte, das Netz als Geldquelle entdeckt. Tomorrow soll sie erschließen. Internetthemen machen in Mantheys „Monatsmagazin für moderne Kommunikationstechnik“ aus der Verlagsgruppe Milchstraße den größten Teil der knapp 300 Seiten aus.

Was aber haben Boris Becker, Sandra Bullock, Gerhard Schröder und Cameron Diaz auf den Titelblättern damit zu tun? Nicht viel, sieht man einmal davon ab, daß Sandra Bullock die Hauptrolle im Film „Das Netz“ spielte, der ersten Hollywood-Produktion zum Thema. Aber das ist mittlerweile schon vier Jahre her. Daß die prominenten Köpfe die ersten vier Ausgaben zieren, ist gleichwohl kein Versehen: Tomorrow wendet sich nicht an Experten, sondern an Leser ohne technisches Vorwissen. Stars erleichtern den Einstieg, Themen wie virtuelle Spielcasinos, Avatare und Fanship im Internet gehören zum Mainstream. Die Texte sind niedrigschwellig um Allgemeinverständlichkeit bemüht, auch um den Preis von Plattheiten oder Klischees: „Chat- Sucht – fünf Warnzeichen“.

Nützlicher sind die halbseitigen „Helpline“-Kästen, in denen Basiswissen vermittelt wird: Internet für die Anfänger, denen Computerbild zu technisch und Konrad aus dem Hause Gruner + Jahr zu intellektuell daherkommt. Tomorrow setzt sichtbar darauf, daß die Zukunft des Mediums nicht der Nerd, sondern die breite Masse sein wird. Es gibt Computerbücher unter dem Zeitschriften-Logo zu kaufen, beim Nachrichten-Fernsehsender n-tv laufen täglich mehrmals die Tomorrow-Netnews, und natürlich ist die Zeitschrift auch ins Netz gegangen.

Dort allerdings, pikanterweise im Kerngebiet, haben die Macher bisher wenig Sachkompetenz bewiesen. Erst kam die Tomorrow- Homepage (www.tomorrow.de) aus Gründen des Urheberrechts ins Gerede: In den Online-Nachrichten fanden sich – einschließlich der Rechtschreibfehler – wortwörtlich übernommene Texte der Netznachrichtenagentur Golem Network News (GNN) wieder. Man entschuldigte sich, versprach Lizenzgebühr zu zahlen und feuerte einige Mitarbeiter, doch nach Weihnachten stand die nächste Panne an. Der groß angekündigte Tomorrow-Tarif, mit dem Manthey zusammen mit der Firma Mobilcom in den Providermarkt einsteigen wollte, brach unter dem Ansturm der Surfer zusammen. Die Beschwerden über endlose Einwahlzeiten, lahme Übertragungsgeschwindigkeiten, dazu der wiederholte Vorwurf eklatanter Sicherheitsmängel zwangen den Tomorrow-Partner in die Defensive: Erst setzte Mobilcom die bis zum 15. Januar angebotene Monatspauschale von 77 Mark aus, ging dann am 22. Januar ganz vom Markt und kündigte „drei internationale Expertenteams“ zur technischen Nachbesserung für einen Neustart am 1. Februar an. „Mittlerweile fragen sich die User, ob sie nicht unfreiwillig Betatester geworden sind“, kommentierte GNN dieses Pauschalangebot – eines der ersten in Deutschland.

Doch dem Erfolg des Printangebotes haben die Online-Pannen nicht geschadet. Von der ersten Ausgabe wurden 150.000 Hefte abgesetzt, im Dezember meldete der Verlag 270.000 verkaufte Exemplare. Und vor allem die Beilage für die „1.000 besten Internet- Adressen“ weist einen hohen Anzeigenanteil auf. Wird Tomorrow zum AOL unter den Netzzeitschriften? Mit einer deutschen Wired, die oft beschworen und auch jetzt wieder ins Spiel gebracht wurde, hat das Blatt jedenfalls nichts zu tun. Bis ein William Gibson, Brian Eno, eine Sherry Turkle oder Laurie Anderson auf dem Cover einer großen deutschsprachigen Internetzeitschrift erscheinen können, wird es noch Jahre dauern. Malte Oberschelp

malte.oberschelp@zeitung-zum-sonntag.de