: Bürger erlassen Toleranzedikt
■ „Werkstatt Berlin“ hat für eine Selbstverpflichtung gegen Ausländerfeindlichkeit schon 100 Unterzeichner gewonnen
Sie räumen es sofort ein: „Edikt“ – das klingt nach einem Herrscher, der sich an seine Untertanen wendet. Dennoch hat die „Werkstatt Berlin“ die Bezeichnung bewußt gewählt. Die Bürgerinitiative, die sich im Sommer gegründet hatte, hat ihre ersten öffentlichen Forderungen als „Toleranzedikt von Berlin“ betitelt. „Die Analogie zum Toleranzedikt von Potsdam von 1685 ist gewollt“, erläutert der Werkstatt-Vorsitzende Winfried Hemmann. Damals sei damit der Zuzug von 10.000 Hugenotten nach Berlin akzeptiert worden. Heute geht es den Initiatoren um die in Berlin lebenden Ausländer.
Noch vor einem halben Jahr war völlig unklar gewesen, was dieser Kreis von Professoren, Politikern, Soziologen und Stadtentwicklern zustande bringen würde. Die zufällig zusammengewürfelten Bürger, die sich an dem lauen Juliabend in der Akademischen Buchhandlung zusammenfanden, hatten nur eines gemeinsam: ihr Entsetzen über zunehmende Ausländerfeindlichkeit und ihre Wut über Äußerungen des damaligen Innensenators Jörg Schönbohm (CDU). Er hatte von „Ghettos“ in der Stadt gesprochen.
Gestern präsentierte der Kreis das erste Ergebnis seiner Arbeit: In fünf Artikeln sind die Forderungen des „Toleranzediktes“ formuliert. Wichtig sei ihnen die Definition des Toleranzbegriffes, erklärte Hartmut Häußermann, Professor für Stadtsoziologie an der Humboldt-Universität und einer der Initiatoren. Dazu gehörten Respekt, Akzeptanz und Anerkennung. In den Rededuktus vieler Politiker habe sich eingeschlichen, daß Ausländer als etwas Belastendes bezeichnet würden, kritisierte er. Dabei seien sie doch eine Bereicherung. Die Initiative schlägt den 9. November als „Tag der Toleranz“ vor.
Die „Werkstatt Berlin“ will bei der Veröffentlichung des Edikts jedoch nicht stehenbleiben. Zur Zeit sammeln sie dafür Unterschriften, 100 haben sie schon beisammen. Darunter sind so prominente Namen wie Walter Jens und Günter Grass sowie Berliner Prominenz: Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD), die gesamte Fraktionsspitze der Grünen und einige Bezirksbürgermeister haben unterzeichnet. Von CDU- Seite konnten sie bislang nur die Ausländerbeauftragte von Schöneberg, Emine Demirbüken, gewinnen.
„Damit ist es aber nicht getan, damit fängt es erst an“, sagte der DGB-Landesvorsitzende Dieter Scholz, der die Unterstützung der Gewerkschaften zusicherte. Alle Unterzeichner verpflichteten sich, tatsächlich im Sinne des Edikts aktiv zu werden. Das will die Initiative regelmäßig prüfen. Von den Politikern erwarteten sie Strategien und konkrete Konzepte gegen Ausländerfeindlichkeit, sagte Hemmann. „Die Verpflichtung zur Toleranz wäre auch für das vielgesuchte Leitbild Berlins geeignet.“ Jutta Wagemann
Wer das Toleranzedikt unterzeichnen will, kann sich an die Werkstatt Berlin wenden, Knesebeckstr. 33/34, Tel.: 308837572.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen