■ Offener Brief an Joschka Fischer: Wird „Global denken, lokal handeln“ durch „Eurozentrisch denken, militärisch handeln“ ersetzt?
: Lieber Joschka,

zwei Wochen lang habe ich gezögert, bevor ich Dir diesen Brief schreibe. Anlaß ist Deine Rede vom 12. Januar vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Ich hörte Dir natürlich mit großem Interesse und großen Hoffnungen zu. Schließlich war es die erste Programmerklärung des ersten grünen Vorsitzenden des Rates der Europäischen Union zur internationalen Politik. Selbstverständlich erwartete ich bei dieser Rede einen grünen Ausgangspunkt. Bereits während Deiner Rede hat mich das Gefühl beschlichen, daß da etwas nicht stimmt. Dieser erste Eindruck wurde verstärkt, als, unmittelbar nach Abschluß Deiner Rede, mein schwedischer Kollege von der bürgerlichen Liberalen Partei auf mich zukam und jubelte: „Hervorragend! Mit solchen Grünen wie Joschka Fischer könnte auch ich ein Grüner sein.“ Die Liberalen sind seit langer Zeit Gegner der schwedischen Friedens- und Neutralitätspolitik und Befürworter einer Militarisierung der Europäischen Union.

Zurück in Schweden, habe ich festgestellt, daß dies nicht der einzige bürgerliche Politiker war, dem Deine Rede gut gefallen hat. Auch Carl Bildt, ehemaliger Regierungschef und Führer der schwedischen Schwesterpartei der CDU sowie ein großer Bewunderer von Helmut Kohl, hat Deine Rede öffentlich gelobt. Seine Partei sieht seit langer Zeit eine föderale Europäische Union als ein Werkzeug der Deregulierung, als ein Mittel für den Abbau des schwedischen Wohlfahrtsstaats und eine Garantie gegen politische „Abenteuer“ von Rot oder Grün.

Nach all diesen Erfahrungen habe ich Deine Rede nochmals genau studiert. Und Joschka, ich bleibe irritiert und muß Dich fragen: Gibt es irgend etwas in Deinem Text, das Helmut Kohl nicht hätte genauso sagen können?

Du schlägst eine Integration der WEU in die EU vor. Du mußt wissen, daß sich die grüne Fraktion im Europaparlament ebenso wie die grüne Föderation mit 30 grünen Mitgliedsparteien gegen jede Militarisierung der EU wendet. Du sprichst von der EU als „einem starken und durchsetzungsfähigen global player“ und daß sie ihr „wachsendes Gewicht auf der Weltbühne zur Geltung bringen“ muß. Was heißt das? Genau so sprechen diejenigen meiner Kollegen im außenpolitischen Ausschuß des Europaparlaments, die sich eine neue Großmacht Europa wünschen, um die wirtschaftlichen und strategischen Privilegien der Europäer gegenüber den Armen der Welt, gegenüber Afrika, Asien und Lateinamerika, verteidigen zu können.

Und was ist mit der EU-Polizei? Du sagst in Deiner Rede: „Wir müssen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der Polizei weiter intensivieren und die operativen Fähigkeiten von Europol stärken.“ Du vertrittst sogar die Auffassung, daß „ein nächster Schritt sein könnte, den europäischen Behörden europaweite Ermittlungskompetenz zu verleihen“. Also, EU-FBI und EU-CIA, ein EU-KGB! Du solltest wissen, daß sowohl die grüne Fraktion als auch die grüne Föderation gegenüber solchen großpolizeilichen Strukturen eine sehr kritische Haltung haben.

Du willst die letzten Reste von Selbstbestimmung der Kleinstaaten innerhalb der EU abschaffen – das Veto muß weg, nur Mehrheitsbeschlüsse im Rat sollen gelten. Du weißt natürlich, daß das nur die Kleinen betreffen wird. Deutschland und Frankreich werden aufgrund ihrer Dominanz immer ein reales Vetorecht behalten. Nur die Kleinen müssen gehorchen. Auch die Friedrich-Ebert-Stiftung hat vor einigen Tagen vorgeschlagen, daß das Stimmgewicht Deutschlands erhöht werden muß, sowohl im Rat als auch im EU-Parlament. (FAZ vom 25.1.) In föderalen Staaten wie den USA gibt es Bevölkerungsproportionalität in einer Kammer, in anderen föderalen Staaten wiederum haben alle Staaten genau dasselbe Stimmgewicht.

In der Groß-EU, die jetzt heranwächst, wird es also anders sein. Die Großen werden beide Kammern kontrollieren. Warum diese Wut gegen ein bißchen Selbstbestimmung der Kleinstaaten der EU? Haben wir nicht gemeinsam für die Selbstbestimmung für Algerien, Vietnam und andere kolonisierte Völker gekämpft? Ich glaube nicht, daß hundertprozentige Selbstbestimmung möglich oder wünschenswert ist. Aber ein bißchen Selbstbestimmung auch für die Schweden, Dänen und andere Kleinvölker der EU, ist das zuviel verlangt? Was für Internationalismus ist das, wenn mein Land zur marginalisierten Provinz eines deutsch-französischen Großreichs degradiert wird?

Joschka, findest Du die Perspektive nicht traurig, daß eines Tages die junge Generation in meinem Lande gezwungen sein könnte, nach dem Muster der deutschen Grünen der 70er Jahre oder der Kosovo-Freiheitskämpfer von heute verzweifelte Protestaktionen gegen den EU-Militärgroßstaat zu organisieren? Werden sie dann riskieren, daß die „gestärkten operativen Fähigkeiten von Europol“ und die „europaweite Ermittlungskompetenz europäischer Behörden“ gegen sie wegen EU- staatsfeindlicher Tätigkeit mobilisiert wird?

Ich habe mit vielen deutschen Grünen über Deine Rede diskutiert. Sie haben Dich loyal verteidigt. Realos ebenso wie Fundis. Ein EU-Parlamentarier meinte: „Es war natürlich keine grüne Rede, es war eine Staatsrede, er mußte es so tun.“ Ich war am 25. und 26. Januar mit dem Außenausschuß des Europaparlaments in Bonn, um die Mitglieder des Außenausschusses des Bundestages zu treffen. Die Grünen haben versucht, mich zu beruhigen. „Joschka meint es natürlich nicht so, aber er mußte erst die Außenwelt und unsere Partner, zum Beispiel die USA, beruhigen“, meinten sie. Man hat auch behauptet, daß Du den Preis für den Sieg Jürgen Trittins bezahlen müßtest. Während ich dies schreibe, scheint das bereits zweifelhaft. Wenn Euch der Einstieg in den Ausstieg aus der Atomgesellschaft wirklich gelingen würde, dann ist dies den Preis einer verbalen Anpassung zur dominanten Sicherheitsliturgie der Machteliten wohl wert!

Ich erwarte hoffnungsvoll, daß Du, wenn Du die Machteliten genug beruhigt hast, auch Gelegenheit findest, ein beruhigendes Wort an uns Grüne und Internationalisten zu richten, damit wir sicher sein können, daß ein grüner Außenminister doch etwas anderes bedeutet als Kontinuität der CDU- Politik. Einmal hieß es unter den Grünen: Global denken, lokal handeln. Möge es nie durch: „Eurozentrisch denken, militärisch handeln“ ersetzt werden!

Dein grüner Freund

Per Gahrton