: Wunschpartner Deutschland
Nach über einem Jahr Funkstille kommen Gespräche über ein Freihandelsabkommen der EU mit Algerien zur deutschen Ratspräsidentschaft wieder in Gang ■ Aus Algier Reiner Wandler
Algerien und Europa nähern sich einander an. Während der deutschen EU-Präsidentschaft sollen die Gespräche zwischen Algier und Brüssel über ein Assoziierungsabkommen wiederaufgenommen werden. „Bereits für diesen Monat sind erste informelle Kontakte vorgesehen“, bestätigt der Delegierte der EU-Kommission in Algier, Lorenzo Sánchez. Damit wird erstmals seit Sommer 1997 wieder verhandelt.
Der Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der Assoziierungsgespräche während der Bonner EU- Präsidentschaft wurde von Algerien nicht zufällig ausgesucht. „Bei der Modernisierung der Industrie sind die Deutschen unsere Wunschpartner“, heißt es immer wieder aus der Wirtschaft. Der Grund dafür ist einfach: Zwei Drittel der algerischen Industrieanlagen wurden in den 70er Jahren mit Petrodollar in der Bundesrepublik eingekauft. Ob Thyssen, MAN oder Mercedes Benz, die großen Marken sind längst wieder vor Ort. Ein vom Bundesverband der Deutschen Industrie ins Leben gerufenes Forum bietet deutschen Betrieben und den algerischen Staatsholdings Raum für Erfahrungsaustausch. Die deutschen Exporte nach Algerien stiegen im ersten Halbjahr 1998 um 40 Prozent.
Trotzdem: „Leicht werden die Gespräche nicht“, ist sich der Spanier Sánchez sicher, unter dessen Leitung die EU-Kommission seit Ende November vorigen Jahres eine Vertretung in Algier unterhält. Der algerische Außenminister Ahmed Attaf gilt als harter Verhandlungsführer. Er möchte kein Standardabkommen unterschreiben, wie es Tunesien und Marokko getan haben. Denn Algerien ist im Unterschied zu diesen beiden Ländern kein Agrarexporteur, sondern muß landwirtschaftliche Produkte einführen. Außerdem verfügt das Land, über eine eigene, wenn auch marode Industrie. Diese will die Regierung zumindest für eine Übergangszeit vor der übermächtigen europäischen Konkurrenz schützen. Attaf möchte deshalb für Algerien Industriegüter aus der ab 2010 vorgesehenen Freihandelszone im Mittelmeerraum erst einmal ausnehmen.
Damit nicht genug: Algier verlangt auch Freizügigkeit im Personenverkehr. „Dafür hat die EU- Kommission, die das Assoziierungsabkommen aushandelt, kein Mandat“, weist Sánchez dieses Anliegen zurück. Personenverkehr und Visavergabe liegen in der nationalen Zuständigkeit der EU- Mitgliedsländer. Doch Sánchez ist sich sicher, daß Algerien diesen Punkt bald zurückziehen wird, um die Verhandlungen nicht unnötig zu belasten.
Algerien hat ein vitales Interesse an einer schnellen Assoziierung. Die EU ist mit 60 Prozent Hauptabnehmer von algerischem Erdöl und Erdgas. Gleichzeitig bezieht Algerien knapp zwei Drittel seiner Importe aus den europäischen Mitgliedsländern, allen voran Frankreich, das allein die Hälfte des Geschäfts macht.
Anders als 1997, als Algier begann die Verhandlungen zu verschleppen, steht das Land vor einer Wirtschaftskrise. Erdöl und Erdgas stellen 95 Prozent der algerischen Exporte. Der Ölpreisverfall macht der Regierung jetzt einen Strich durch die Wirtschaftsplanung. Den Haushaltsberechnungen für 1999 und 2000 wurden 15 Dollar pro Barrel zugrundegelegt. Mittlerweile schwankt der Barrelpreis zwischen elf und zwölf Dollar. Erholen sich die Preise nicht, wird Algerien bis zu 40 Prozent seiner Einkünfte verlieren. Die 7,5 Milliarden Dollar Devisenreserven reichen dann nicht weit: Allein in diesem Jahr warten Zinsrechnungen von 5,6 Milliarden Dollar. Der Rest ist schnell aufgebraucht, in einem Land, das über 60 Prozent der Nahrungsmittel und Konsumgüter einführen muß. Algerien könnte schon bald wie bereits 1993 der Gang zum Währungsfonds IWF drohen.
„Wir werden Algerien auf keinen Fall im Stich lassen“, sagt Sánchez. Mit 35 Millionen Euro aus dem Hilfsprogramm Meda sollen die staatlichen Industrieholdings auf dem Weg zur Privatisierung unterstützt werden. Weitere 60 Millionen Euro richten sich an die kleine und mittelständische Industrie. Hierunter fällt ein Teil der Betriebe, die durch die Aufteilung der gigantischen Staatsholdings entstehen. 15 Millionen Euro sollen bei der Modernsierung des Finanzsektors helfen.
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