■ Rosi Rolands Bremer Geschichten
: Hattig im Hormonrausch

Die Wege des Herrn sind unergründlich. Und ließe man einen längeren Augenblick die Gedanken um die Frage kreisen, was ein Christdemokrat wohl verbrochen haben muß, daß sein Herrgott ihn Wirtschaftssenator im chronisch klammen Bremen werden läßt, schnell fiele man in dunkles atheistisches Zweifeln. Gern gönnt man es da dem vom Schicksal derart gebeutelten Amtsinhaber Josef Hattig, wenn er in Ausübung seines Jobs mal was richtig Nettes machen darf. So wie zu Wochenbeginn, als er für den Senat ein Grußwort im fertiggestellten Bremer Musical-Theater verlesen durfte. Gerade eben hatte Musical-Produzent Frank Buecheler mit bebender Stimme die erstaunliche Einsicht kundgetan, ein Musical wie Jekyll & Hyde wäre in Deutschland vor 60 Jahren sicherlich verboten worden, als der Moderator inmitten dieses imposanten antifaschistischen Theatermahnmals dem Senator Hattig das Wort erteilte. Mit der Anmut silbermähniger Gazellen hüpfte der darob die Treppe hinauf zum Mikro, wo bereits die beiden Musicalhauptdarstellerinnen standen. Hattig, ganz Dortmunder Bierbrauer, erkannte seine Chance, griff sich die beiden verdutzten Frauen, knutschte sie ab und verkündete freudestrahlend, in solchen Augenblicken mache ihm sein Job so richtig Spaß. Doch der heftig in Wallung geratene Hormonhaushalt des knapp 70jährigen wirkte sich negativ auf sein Sprach- und Sehzentrum aus. So pries er die gute Arbeit des Architekten „Herrn Schulte“, der neben ihm stand und nicht nur durch den Vornamen Claudia eindeutig als Frau zu identifizieren war.

Da aber entging dem von Frühlingsgefühlen Überwältigten ebenso, wie es ihm hörbare Schwierigkeiten bereitete, den Namen von Lyn Liechty, eine der ungefragt Geküßten, richtig auszusprechen. Daß Liechty, trotz richtiger Notation in Lautschrift auf Hattigs Redemanuskript, aus seinem Küssmund immer so klang wie das exotische Früchtchen Litschi, böte ausreichend Stoff für tiefenpsychologische Sonderforschung.

Ist doch eh egal, welchen Unsinn ich hier rede, wird sich der Senator gedacht haben, knutschte erneut die beiden Damen, schnappte sich für den großen Männerdurst zwei Sektgläser gleichzeitig und stieß, nachdem er das erste in ex-und-hopp-Manier weggekippt hatte, mit dem zweiten auf seinen brillanten Auftritt an. Gott wird schon wissen, warum er Bremen für seine Wirtschaft diesen eloquenten Senator geschenkt hat, meint Ihre Rosi Roland