: Diktaturen sind manchmal nützlich
■ Beim Tanzherbst gibt es nicht nur Juwe-len, sondern auch akzeptables Mittelmaß. Etwa die Companhia Paulo Ribeiro
Festivals sind dazu da, um aus der hausgemachten Provinzialität auszubrechen. Manchmal beweisen sie aber auch, wie gut das eigene ist. Die TänzerInnen der Companhia Paulo Ribeiro zum Beispiel sind technisch einfach ein bißchen schlechter als die unserer Susanne Linke. Auch Bewegungen der Schwäche – ein Einknicken hier, ein Schlottern da oder das Simulieren von knochenlosem Gummifleisch – will bis in die letzte Faser geführt sein. Vor allem setzt die portugiesische Truppe weniger auf die Individualität der TänzerInnen. Unsere heimischen Stars führen gender-pc-mäßig die Kategorien „Mann“ und „Frau“ durch größte Verschiedenheit ad absurdum. Die TänzerInnen Ribeiros, besonders die drei Tänzerinnen, ähneln sich in Konstitution und Ausstrahlung dagegen ziemlich.
Aber das gibt hier auch Sinn. Schließlich geht es in der Produktion „Azul Esmeralda“ viel um Gleichschaltung in seelischen und politischen Diktaturen. Einer dirigiert, sechs gehorchen. Einmal wird sogar der Atem von einem Kapo gewaltsam synchronisiert. Erschütternd ist das aber nicht. Zu rockig-knackig ist die Musik für solche Intention. Paulo Ribeiro will eben mehr unterhalten als erschüttern. Trotz weiterer trauriger Themen: Wir sehen Paare, die hahnenkampfartig aufeinander losgehen. Wir müssen erkennen, wie verlogen die Fröhlichkeit der Gut-Drauf-Gesellschaft ist. Schon wieder. Was täte das moderne Tanztheater nur, wenn die Welt gut, schön, gerecht wäre. Ihm gingen die Themen aus. Mit Nettigkeiten tut es sich so furchtbar schwer. Wer will schon den Kitsch vom Nußknackerballett.
Ein Solo gibt es im Stück der Portugiesen. Da ist ein Verzweifelter in einem Scheinwerferkreis gefangen und er rennt gegen die Ränder an. Das kann man schon machen. So richtig wehtun oder nahegehen tut das Stück aber selten. Viele Muster des Tanztheaters treten auf, schon schön, aber nicht umwerfend: Da gibt es Menschen, die sich mit neurotischem Übereifer in standardisierte Gesten der Freizeitgesellschaft – lockerer Hüftschwung, Rocken – stürzen, bis sich die Körperapparatur irgendwann verhakt, ins Stottern kommt; da gibt es Puppenwesen, denen wie E.T.A. Hoffmanns Olympia der Saft ausgeht, wenn man sie aufzuziehen vergißt; dann gibt es die Selbstheiler die mit wahnwitzigen Fingergetrommele zärtlich-besorgt die eigenen Gelenke abtasten; oder die Entgeisterten, denen ein juckender Floh irgendwo im Körperzentrum – Magen? Leber? – jede Kontrolle stiehlt. Und einmal klopfen sie den eigenen Kopf ab, um zu hören, ob da irgendein Fremder drinsitzt. Das ist toll, aber vielleicht zu wenig, um auf eine Geschichte und Requisiten (fast ganz) zu verzichten. Wunderbar ist die pausenlos durchkomponierte Musik Nuno Rebelos, die hemmungslos zwischen knuffig wummernder, elektronisch aufgerüsteter Kraftwerk-Nachfolge, zarten Free-Jazz-Experimenten, schallender Tom Waits-Groteske mit polternder Tuba und Trommel oder einem Cellosolo hin- und herpendelt. Ach, eigentlich war es doch schön. bk
Weiteres: Samstag, 20h, Schauspielhaus: Cesc Gelabert tanzt ein Solo von Gerhard Bohner. Sonntag, 18h, MOKS-Theater: ChoreographInnennachwuchs aus Bremen; 20h, Schauspielhaus: steptext dance company.
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