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Ausgerechnet Ficken proben müssen

■ Schauspielaspirantinnenträume? Andres Veiels Dokumentarfilm „Drei von Tausend“ zeigt auch Alpträume (So., 23.55 Uhr, ZDF)

Am Anfang steht der ganz gewöhnliche Alptraum von Menschen um die zwanzig: die Prüfungssituation. Mandy Müller, Constanze Becker und Darina Djumic allerdings stellen sich dafür auf die Bühne der Berliner Schauspielschule Ernst Busch. Sie sprechen mit einer Rolle ihrer Wahl sowie der obligatorischen Eboli aus Schillers „Don Carlos“ vor. Darina Djumic, das kommt wenig später heraus, ist freilich schon 26. Für eine Frau eigentlich zu alt, um noch mit der Schauspielerei anzufangen. So jedenfalls sieht es die Schule, die ihr aber trotzdem eine Chance gibt.

Hinter dem Alptraum der Aufnahmeprüfung kommt damit plötzlich der Alptraum des Elternhauses zum Vorschein. Der tyrannische Vater, gegen den sich aufzulehnen Darina nicht früh genug den Mut hatte. Aber auch Constanze Becker tut sich schwer, sich gegen die Eltern und ihr Leben im Porzellanladen abzugrenzen. Mandy Müller, die dritte Kandidatin in Andres Veiels neuem Dokumentarfilm, läßt die Eltern gleich außen vor. Dafür sieht man sie bei der Probe mit dem Theater Kohlenpott in Herne. Auch das ein Alptraum – und ein guter Grund, gerade nicht Schauspielerin zu werden. Denn wer möchte mit einem häßlichen fetten Provinzregisseur ausgerechnet Ficken proben, und sich – weil der Mann zu dumm ist, zu erklären, was er von den Schauspielern will – anpöbeln und beleidigen lassen?

Andres Veiels „Drei von Tausend“ nimmt gefangen, ja, die Doku nimmt mit. Weil es dem preisgekrönten Dokumentarfilmer („Die Überlebenden“, 1996) gelingt, aus der klaustrophobischen Theatersituation auszubrechen und in das Leben seiner Protagonistinnen vorzudringen, macht er den Zuschauer zum Parteigänger der einen oder anderen Kandidatin. Die Frage, wer's am Ende schafft, wird wirklich spannend, denn man nimmt die Mädchen nicht mehr nur aus der Perspektive ihres Bühnenauftritts wahr. Da ist Constanze Becker zweifellos die Interessanteste und Begabteste. Aber jenseits der Bühne wirkt sie verschlossen und ein wenig prätentiös, ihren geschmäcklerischen Eltern zu sehr verwandt. Dagegen nimmt Darinas Kampf gegen ihren herrschsüchtigen Vater und dessen bornierten Aufsteigerehrgeiz, der ihr schon immer das Leben schwer gemacht hat, für die zierliche Tschechin ein.

Man drückt ihr die Daumen. Schon weil man dem Vater die Niederlage wünscht. Doch leider, am Ende muß sie ihren Vater anrufen und ihm sagen, daß sie nicht genommen wurde. Constanze Becker hat es geschafft und auch die robuste, mit einem soliden Selbstbewußtsein ausgestattete Mandy Müller. Sie zeigt wie die anderen Beteiligten Mut. Bei Andres Veiel ist es der Mut zum klugen und beharrlichen Nachsetzen. Bei den Schauspielaspirantinnen und deren Eltern ist es der Mut zur Selbstentblößung. Nicht zuletzt dieses Wagnis macht „Drei von Tausend“ absolut sehenswert. Brigitte Werneburg

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