■ Die China-Politik der neuen Bundesregierung ist die der alten: Reden, um nicht handeln zu müssen
„Die China-Politik der Bundesregierung ist gründlich gescheitert. Jetzt bedarf es eines wirklichen Neuanfangs.“ Was Joschka Fischer am 26.6. 1996 in einem Gastbeitrag auf dem Höhepunkt des Streits um die chinakritische Tibet-Resolution des Bundestags in der FAZ forderte, könnte er inzwischen als Außenminister selbst umsetzen. Doch das geschieht nicht. Zwar empfing Fischer den Dissidenten Wei Jingsheng, protestierte gegen die Ausweisung des Spiegel- Korrespondenten Jürgen Kremb und die jüngsten drakonischen Dissidentenurteile Das vor allem symbolisch und verbal. Ganz zu schweigen von einem Neuanfang folgten bisher keine konkreten Taten.
Hierzu böte die Tagung der UN-Menschenrechtskommission Ende März Gelegenheit. Ein Versuch der EU unter deutscher Ratspräsidentschaft, dort eine chinakritische Resolution zu verabschieden, könnte den Druck erzeugen, ohne den es in Menschenrechtsfragen kaum Fortschritte gibt. Selbstverständlich kann eine Resolution dabei nur Teil einer umfassenden Gesamtstrategie sein. Doch in Bonn ist keine solche Strategie für eine menschenrechtsorientierte China-Politik sichtbar, im Gegenteil: Vieles deutet darauf hin, daß die neue Bundesregierung die China-Politik der alten fortsetzt. Das Auswärtige Amt erklärte zwar, die in einem internen Papier geäußerte Position, Deutschland solle nicht auf eine Resolution hinwirken, sei nicht die der Regierung. Doch weder wurden die Existenz des Papiers dementiert, noch andere Positionen formuliert.
Bonn ist in der EU-Menschenrechtspolitik gegenüber China nur Moderator und nicht Motor. Dabei hilft der Regierung der unverbindliche Menschenrechtsdialog, den China in der Vergangenheit im Tausch für den Verzicht auf eine kritische Resolution anbot. Zwar sind Gespräche begrüßenswert, doch müssen sie in eine Strategie eingebunden sein und zu Ergebnissen führen. Sonst passiert, was beim europäisch-chinesischen Menschenrechtsdialog nächste Woche in Berlin zu befürchten ist: Beide Seiten reden unverbindlich hinter verschlossenen Türen und verkünden dann, es sei über alles gesprochen worden. Solches Reden hilft dem, der nicht handeln will. Die Ironie: Das interne Papier des Auswärtigen Amts erkennt an, daß Druck etwas verändert, wenn eine Drohkulisse aufgebaut wird. Von kontinuierlichem Druck spricht niemand: weder die neue Bundesregierung noch die alte. Sven Hansen
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