■ Wissenswertes über Kulmbach, seine Bewohner und ihre Eigenarten
: Die letzte Raubritterenklave

Wer in den 50er und 60er Jahren in Kulmbach aufwuchs, hatte von der Existenz der Nazis nicht den leisesten Schimmer, dafür aber war er Fachmann in niederem Raubritterwesen und wußte genau Bescheid über die Markgrafengeschlechter, die in regelmäßigen Abständen übereinander herfielen. Ein Sport, zu dem sogar in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Schweden anreisten, um sich an einem Wettbewerb in Brandschatzen, Saufen und Huren zu beteiligen, der später als Dreißigjähriger Krieg in die Annalen einging.

Unter diesen Raubverhältnissen war es mit der Hygiene nicht weit her, weshalb sich nach einer Pest das Problem Kulmbach fast einmal von selbst erledigt hätte. Dummerweise blieben vierzig „wehrfähige Bürger“ übrig, die bis in die Gegenwart den in Kulmbach als ehrbar geltenden Beruf des Wegelagerns ausübten. In dieser Tradition wurden die Kulmbacher begeisterte Parteigänger Hitlers, der Beute, Mord und Totschlag ohne Ende versprach. Die Kulmbacher fanden diese Idee große Klasse, nur war keine Opposition zugegen, an der man sich gütlich tun konnte. Immerhin gab es in Kulmbach (und übrigens in ganz Franken, wie Robert Gellately nachwies) die höchste Rate an gegenseitiger Denunziation, um in den Besitz der Nachbarsgüter zu gelangen. Für viele Kulmbacher fiel bedauerlicherweise die sog. Reichskristallnacht quasi ins Wasser, denn es gab keine Synagoge, und bei den wenigen ansässigen Juden war kaum etwas zu holen.

Die Erziehung der Jugend wurde Leuten überlassen, die nicht nur braun in der Gesinnung waren, sondern auch so hießen. „Julius“ Braun verwandelte das Klassenzimmer in ein Exerzierfeld und brachte den Opfern Strammstehen bei. Das Fehlen der Türschwelle markierte seiner Meinung nach den Übergang in die Barbarei. Von solchen Leuten Streicherschen Zuschnitts wimmelte es in Kulmbach. Aber nicht Meister Braun waren der Skandal, sondern die von ihm gepeinigten Schüler, die dem Mann per Graffito drohten, „Haut dem Schnöff ins Mondgesicht“, und dabei sogar noch so nett waren, ihn nur bei seinem Spitznamen zu nennen.

Wie auch bei anderen eher zaghaften oppositionellen Regungen wurde dann gerne zur Hatz geblasen, wobei sich vor allem das Mitteilungsblatt Bayerische Rundschau (vor 1945 Kulmbacher Rundschau, die „Amtliche Tageszeitung des Gaues Bayreuth der NSDAP“) hervortat, die einzige Tageszeitung, die in dieser Region zu haben ist und die zu abonnieren jeder Einwohner in Kulmbach zwangsverpflichtet wird.

Die größte Berühmtheit, die Kulmbach je hervorgebracht hat, ist einer, der im Fernsehen für Gummibärchen Werbung macht. Weil man schon von seiner künftigen Laufbahn überzeugt war, als Thomas Gottschalk noch im zarten Jugendalter den Dienst eines Ministranten versah, aber gleichzeitig von der unsinnigen Annahme ausging, für TV-Auftritte sei das Abitur erforderlich, mühte sich das Lehrerkollegium nach Kräften, den einer einflußreichen Familie entstammenden Haribostar mit Minipli und Bratenrock durch die Schule zu schleusen.

Wirtschaftlich gesehen hat Kulmbach nur zwei Industriezweige hervorgebracht, die von Bedeutung waren und die in engem Zusammenhang stehen mit dem traditionellen Bandenwesen Oberfrankens. Obwohl Kulmbach nur ca. 30.000 Einwohner zählt, benötigte man gleich vier große Brauereien, um den ungeheuren Durst zu löschen und die dadurch angestachelte Rauflust zu befriedigen. Und weil durch die ständigen Keilereien naturgemäß ein hoher Verschleiß von Kleidung zu verzeichnen war, etablierte sich im Zentrum eine Spinnerei, die derart billige und häßliche Teile herstellte, daß sogar die Ossis, die nach der Wiedervereinigung in die Stadt einfielen, die Nase rümpften. Mittlerweile ist der Laden pleite, und die vier Brauhäuser haben sich zusammengeschlossen, um sich an der Produktion des üblichen geschmacklosen Einheitsbiers zu beteiligen.

Zu Kulmbachs Attraktionen zählt die Plassenburg. Dafür, daß sie als uneinnehmbar galt, wurde sie ziemlich häufig erobert, einmal zerstört, und auch Napoleon bereitete es keine Mühe, sie zu schleifen. Schließlich taugte sie nur noch als Gefangenenlager und als Ausbildungsstätte für NS-Führungskader, bevor man ein Museum daraus machte, welches die größte Zinnfigurensammlung der Welt enthält (jedenfalls wird das behauptet). Unter Androhung körperlicher Züchtigung befiehlt man jedem Schüler zwei- oder dreimal im Jahr, diese extrem langweilige Angelegenheit zu besichtigen.

Auch an Sagen und Mythen ist diese Stadt nicht reich. Es gibt lediglich die „Weiße Frau“, berühmt geworden durch den merkwürdigen Umstand, daß sie ihre beiden Kinder umbrachte. Diese etwas verschrobene und blutrünstige Seite des Kulmbachers hat sich im Laufe der Jahrhunderte nur wenig gewandelt, und jedes Jahr trägt er in einem stammesähnlichen Ritual seiner Mentalität Rechnung. Auf dem Marktplatz baut er ein großes Zelt auf, darin er solange Bier ausschenkt und trinkt, bis er bis zur Halskrause abgefüllt ist, um anschließend zu Marschmusik und anderen Volksweisen auf dem Kopf seines Gegenübers Maßkrüge zu zerdeppern.

Auf diese Weise hofft man, das dumpfe Aggressionspotential der Kulmbacher zu kanalisieren. Aber da er sich danach in der Regel sowieso an nichts mehr erinnert, ist diese Therapie sehr umstritten. Der Kulmbacher soll übrigens auch liebenswürdige Seiten haben, aber bislang konnten auch Wissenschaftler nicht herausfinden, worin diese bestehen. Karl-Hans Herold